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Bundesgerichtshof über Gesellschafter der Schuldnerin als auch der darlehnsgebenden Gesellschaft
6.10.2024
Eine Rechtshandlung, mit der eine Schuldnerin für eine Forderung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf Rückgewähr eines Darlehns Befrie-digung gewährt, ist nicht allein deswegen gegenüber dem Gesellschafter der Schuldnerin anfechtbar, weil dieser gleichzeitig maßgeblich an der das Dar-lehen gewährenden Gesellschaft beteiligt ist und deswegen die Gewährung der Finanzierungshilfe herbeiführen konnte - unterstrich der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 19.September 2024 - Az: IX ZR 173/22.
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 10.März 2020 am 16.Juni 2020 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der w. GmbH (Schuldnerin). Seit dem 15.November 2018 war die A. B. GmbH mit einem Anteil von 50 Prozent am Stammkapital der Schuldnerin beteiligt. An der A. B. GmbH waren am 4.September 2019 der Beklagte zu 1) mit 43 Prozent und der Beklagte zu 2) mit 6 Prozent beteiligt. Im Juni 2018 gewährte die C. AG der Schuldnerin einen Kreditrahmen über 300 000 Euro, den die Schuldnerin vollständig in Anspruch nahm. Zur Sicherung des Darlehnsrückzah-lungsanspruchs trat die Schuldnerin im Zuge der Globalzession sämtliche Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen gegen Drittschuldner an die C. AG ab. Außerdem übernahm die A. A. GmbH im Zuge des Schuldbeitritts am 27.Juni 2018 die Haftung für die Erfüllung der Verpflichtungen der Schuldnerin als Gesamtschuldner. An der A. A. GmbH waren zum 4.September 2019 der Beklagte zu 1) mit 47,50 (davon mit 10 Prozent treuhän-derisch für einen Dritten) und der Beklagte zu 2) mit 5 Prozent beteiligt. Weiter beteiligt mit 5 Prozent der Stimmanteile war die A. H. GmbH, an der wie-derum die Beklagte zu 1) und zu 2) zu je 50 Prozent und ab April 2020 der Beklagte zu 1) zu 51 Prozent und der Beklagte zu 2) zu 49 Prozent beteiligt waren. Der Beklagte zu 1) war zudem seit dem 7.Oktober 2008, der Beklagte zu 2) seit dem 10.September 2019 im Handelsregister als Geschäftsfüh- rer der A. A. GmbH eingetragen. Über das Vermögen der A. A. GmbH wurde am 1.Februar 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach einer von ihm erstellten Zessionsabrechnung kehrte der Kläger im Juni 2021 Zahlungen von Kunden der Schuldnerin i. H. v. 53 059,71 Euro aufgrund der Globalzes- sion an die C. AG aus. Weitere an die C. AG auszukehrende 3 961,54 Euro verrechnete der Kläger mit Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung gegen die C. AG. Den Gesamtbetrag von 57 021,15 Euro verlangte der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner im Wege der Anfechtung nach § 125 Abs.2 InsO erstattet. Er macht geltend, dass die auch an einer sicherungsgebundenen A. A. GmbH beteiligte Beklagte bei Zusammenrechnung ihrer Beteiligun- gen einen beherrschenden Einfluss auf diese ausgeübt hätten. Das Landgericht (LG) gab der Klage antragsgemäß statt, das Oberlandesgericht (OLG) wies diese ab. Die Revision des Klägers vor dem BGH scheiterte. Das OLG hat zutreffend die entsprechende Anwendbarkeit von § 143 Abs.3 S.1, § 135 Abs. 2 InsO auf Rechtshandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Doppelsicherheiten und das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung bejaht. Gemäß § 135 Abs.2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einen Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehns Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte. Der Gesellschafter hat dann nach § 143 Abs.3 S.1 InsO die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Unmittelbar anwendbar sind § 143 Abs.3 S.1, § 135 Abs.2 InsO nur auf Rechtshandlungen der Schuldnerin, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgeommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen. Wird die an Gesellschaftsvermögen und an Vermögen gesicherte Forderung eines Darlehnsgläubigers - wie hier - erst nach der Eröffnung des Insolvenz-verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwendung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, ist der Gesellschafter in entsprechender Anwen-dung des § 143 Abs.3 S.1 InsO zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrte Betrags zur Insolvenzmasse verpflichtet. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist außerdem geklärt, dass die Befreiung des Gesellschafters von der übernommenen Sicherheit die Gesellschaftsgläubiger benachteiligt, wenn das durch den Gesellschafter besicherte Darlehen entgegen der Vorstellung des Gesetzes aus Mitteln der Gesellschaft getilgt wird. Tilgt eine Gesell-schaft eine von ihr selbst und ihre Gesellschaft besicherndes Darlehen gegenüber dem Darlehnsgeber, liegt die Gläubigerbenachteiligung bei der Anfech-tung der Befreiung des Gesellschafters von seiner Sicherung in den Abfluss der Mittel aus dem Gesellschaftsvermögen, weil der Gesellschaft im Verhältnis zur vorängien Befriedigung der von ihnen besicherten Verbindlichkeit verpflichtet ist. Dies gilt gleichermaßen für einen Anfechtungsanspruch in ent-sprechender Anwendung des § 143 Abs.3 InsO. Daraus ergibt sich jedoch - wie das OLG zutreffend erkannt hat - im Streitfall kein Anfechtungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 143 Abs.3 S.1, § 135 Abs.2 InsO gegenüber den Beklagten. Ein sowohl an der einen Finanzierungshilfe anneh-mende Gesellschaft als auch an der hilfeleistenden GmbH maßgeblich beteiligter Gesellschafter ist nicht allein deswegen Gegner eines Insolvenzanfech-tungsanspruchs aus § 135 Abs.2 InsO, weil er an der hilfeleistenden Gesellschaft maßgeblich beteiligt ist und deswegen die Gewährung der Finanzie-rungshilfe veranlassen könnte.
Quelle: Otto Schmidt News, Gesellschaft sowohl der Schuldnerin als auch der darlehnsgewährenden Gesellschaft, Wirtschaftsrecht 30.09.2024
Landgericht über Hundekaufvertrag mit unwirksamer AGB
7.10.2024
Hier stritten die Parteien über die Kaufpreishöhe eines Hundes. Laut dem Urteil des Landgerichts (LG) Köln vom 16.Juli 2024 - Az: 30 O 533/23 kam nicht der fünfache Kaufpreis für das Tier in Betracht. Die entsprechenden AGB seien unwirksam, weil die Käuferin allein das Risiko trage.
Eine Frau erwarb von einer gewerblichen Züchterin einen Welpen für 1 700 Euro. Der Gesamtkaufpreis für den Familienhund lag bei 2 200 Euro, das Eigentum an dem Tier sollte erst mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises übergehen. Die Käuferin verpflichtete sich im Zuge des Kaufvertrags durch die AGB zu einem ungewöhnlichen Prozedere: Sie könne innerhalb eines Jahres den Nachweis führen, dass mit dem Tier nicht gezüchtet werden könne, et-wa wegen Sterilisatio, Kastration, dann habe sie den Gesamtkaufpreis i. H. v. 2 200 Euro zu leisten. Misslingt ihr der Nachweis, verfünfache sich der Kaufpreis, d. h. die Käuferin habe stolze 11 000 Euro, die über die AGB festgelegt waren, zu zahlen. Die Käuferin habe den Hund, sollte er für die Zucht geeignet sein, für die Zeit der Züchtung an die Verkäuferin auszuhändigen, weil dieser das Zuchtrecht obliegt. Falls die Verkäuferin/Züchterin kein Interes-se an einem Wurf hat, ist der Hund unmittelbar zu kastrieren. Trotz mehrfacher Aufforderung lehnte die Käuferin es ab, die Zuchttatuglichkeit durch einen Tierarzt beurteilen zu lassen. Ihr Angebot, die restlichen 500 Euro zahlen zu wollen, akzeptierte die Verkäuferin nicht. Sie forderte stattdessen von der Käuferin die fehlenden 9 300 Euro auf den Gesamtkaufpreis von 11 000 Euro. Mit ihrer Klage hatte die Züchterin keine Chance. Das LG Köln lehnte einen Anspruch der Verkäuferin auf Zahlung des erhöhten Kaufpreises für das Tier mit Urteil vom 16.Juli 2024 - Az: 30 O 533/23 ab. Die Kammer des LG hielt die Klausel mit “vertragsstrafenähnlichen Charakter” für unwirksam, da sie die Käuferin durch einseitige Vertragsgestaltung nach § 307 Abs.1 BGB unangemessen benachteilige - unabhängig davon - dass das Interesse der Verkäuferin, Kontrolle über die Zucht zu haben, nachvollziehbar sei. Für das LG trifft die in der Klausel zum Ausdruck gebrachte Annahme, die “Möglichkeit zur Zuchtnutzung” bestehe, falls die Käuferin keinen anderslautenden Nachweis erbringe, nicht zu. Dem Gericht zufolge seien Fälle denkbar, in denen der Nachweis, dass die Hündin nicht zur Zucht geeignet ist, aus anderen Gründen nicht fristgerecht vorgelegt werden könne. Es beanstandet, dass hier keine Einschränkung für den Fall bestehe, dass die Käuferin den fehlenden Nachweis nicht zu vertreten habe. Wie beispielsweise bei einer fehlenden Mitwirkung der Verkäuferin oder des behandelnden Tierarztes, etwa bei fehlen-den Informationen, Terminverschiebung, zu späte Erstellung des “Nachweises”. Weiterhin liege bei bestehender Zuchtmöglichkeit die Wahl, den Hund zur Zucht anzufordern oder den deutlich erhöhten Kaufpreis zu verlangen, ausschließlich bei der Verkäuferin. Dadurch werde in die berechtigten Interessen der Käuferin eingegriffen, ohne ihr einen angemessenen Ausgleich zu gewähren. Die Käuferin könne sich auch nicht vom Vertrag lösen, statt den erhöh-ten Kaufpreis zu zahlen. Als widersprüchlich sah das LG auch die Regelungen zum Eigentumsübergang an. Einerseits werde der Eigentumsübergang ex-trem lang hinausgeschoben, andererseits werden die Pflichten der Käuferin zur Kastration von unklaren Anforderungen abhängig gemacht. Wenig ver-ständlich sei auch der Anspruch auf die zum “kompletten” Kauffpreis noch fehlenden 500 Euro - monierte das LG Köln.
Quelle: Redaktion beck-aktuell, hs, Zuchtrecht vorbehalten: Welpe soll nach AGB 11 000 Euro kosten, rsw.beck.de 1.Oktober 2024
Oberlandesgericht über Handelsregister und die Unzulässigkeit einer Zwischenverfügung
5.10.2024
Wie sich aus § 382 Abs.4 S.1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ergibt, darf mit einer Zwischenverfügung nur aufgegeben werden, ein dem Vollzug der vorliegenden Anmeldung entgegenstehendes Hindernis zu beheben mit der Folge, dass nach dessen Behebung die Anmeldung, so wie sie vorliegt, vollzogen wird. Handelt es sich um kein behebbares Hindernis, sondern ein endgültiges, so darf keine Zwischenverfügung ergehen, vielmehr ist der Eintragungsantrag nach § 382 Abs.3 FamFG abzulehnen. Gleiches gilt, sofern der Anmeldende die Behebung des Eintragungshindernisses endgültig verweigert. Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf Beschluss vom 29.August 2024 - Az: 3 Wx 115/24
Die Beteiligte ist seit 2004 (früher unter A-GmbH firmierend) in das Handelsregister eingetragen. Die Allgemeine Vertretungsregelung lautet seither folgen-dermaßen: “Die Gesellschaft hat eine oder mehrere Geschäftsführer. Ist nur ein Geschäftsführer berufen, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertreten.” Die Beteiligte begehrt die Eintragung von vier Personen in das Handelsregister, denen Gesamtprokura derart erteilt worden ist, dass sie jeweils berechtigt sind, die Gesellschaft in Gemeinschaft mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen zu vertreten. Die Verfahrensbe-vollmächtigte reicht die Anmeldung elektronisch am 15.März 2024 beim Registergericht ein, war von B. unterzeichnet, der als Bevollmächtigter für C. und D. handelte. Die Unterschrift von B. ist notariell beglaubigt. Mit formloser Zwischenverfügung vom 8.April 2024 teilt das Registergericht mit, dass der Anmeldung noch nicht entsprochen werden könne. Die Vollmachten seien nachzuweisen durch notariell signierte elektronische Aufzeichnung der Ur-schrift oder Ausfertigung oder einer ordnungsgemäßen Bescheinigung nach § 21 Abs.3 Bundesnotarordnung (BNotO). Die Vollmachten oder die Beschei-nigungen nach § 21 Abs.3 BNotO seien in von der Anmeldung getrennten Dateien zu übermitteln (§ 12 Handelsgesetzbuch (HGB) i. V. m. § 9 Abs.1 Ver-ordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters (HRV)). Dem ist die Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten am 16.April 2024 entge-gengetreten und bat gleichzeitig, die beantragten Eintragungen kurzfristig vorzunehmen. Mit dem angefochtenen Beschluss - Zwischenverfügung - vom 15.Mai 2024 hat das Registergericht mitgeteilt, dass dem Vollzug der Anmeldung die bereits in ihrer Zwischenverfügung vom 8.April 2024 genannten Hindernisse entgegenstünden. Auf die Beschwerde der Beteiligten hat das OLG Düsseldorf den Beschluss - Zwischenverfügung - zwar aufgehoben, je-doch nur vorläufig. Die Beschwerde ist allein deshalb erfolgreich, da das Registergericht bei dieser Sachlage nicht in der Form der Zwischenverfügung hätte entscheiden dürfen. Wie sich aus § 382 Abs.4 S.1 FamFG ergibt, darf mit einer Zwischenverfügung nur aufgegeben werden, ein dem Vollzug der vorliegenden Anmeldung entgegenstehendes Hindernis zu beheben mit der Folge, dass nach dessen Behebung die Anmeldung, so wie sie vorliegt, vollzo-gen wird. Handelt es sich um kein behebbares Hindernis, sondern ein endgültiges, so darf keine Zwischenverfügung ergehen, vielmehr ist der Eintra-gungsantrag nach § 382 Abs.3 FamFG abzulehnen. Gleiches gilt, sofern der Anmeldende die Behebung des Eintragungshindernisses definitiv verweigert. Auch in diesem Fall darf das Registergericht auf der Grundlage seiner rechtlichen Auffassung - nicht durch Zwischenverfügung entscheiden, sondern muss den Eintragungsantrag zurückweisen (u. a. Verweis auf Kammergericht Beschluss vom 17.Dezember 2021 - Az: 22 W 78/21). Das Registergericht hatte schon mit formlosen Schreiben vom 8.April 2024 auf die vermeintlichen Eintragungshindernisse hingewiesen. Dem ist die Notarin mit Schreiben vom 16.April 2024 entgegengetreten. Dem Antrag sei ohne Weiteres zu entsprechen. Damit hat die Notarin zu verstehen gegeben, dass durch sie als Volljuristin vertretene Beteiligte die Vorlage der geforderten Unterlagen endgültig verweigern. Der OLG-Senat weist darauf hin, dass das Registergericht nur die Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung zu prüfen hat. Eine Prüfung der Wirksamkeit der Prokuraerteilung hat nicht stattzufinden. Die Eintragung der An-meldung ist schon deshalb zurückzuweisen, weil der Anmeldende B. von der beteiligten Gesellschaft nicht wirksam zur Vornahme der Registeranmeldung bevollmächtigt worden ist.
Finanzgericht über ärztlich verordnete Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastung
7.10.2024
An der Zugehörigkeit von Aufwendungen für Lebensmittel zu den Kosten der privaten Lebensführung ändert auch nichts, dass die Präparate weitgehend ärztlich verordnet waren. Eine “Zwangsläufigkeit” i. S. des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) lässt sich daraus nicht ableiten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte jedoch noch keine Gelegenheit, genauer darüber zu entscheiden, ob in Fällen einer Krebserkrankung die Einnahmen von Präparaten i. F. von Nahrungsergänzungsmitteln zwangsläufig i. S. d. § 33 Abs. 1 EStG ist, weshalb die Revision zugelassen wurde. Finanzgericht (FG) München Urteil vom 25.Juli 2024 - Az: 15 K 286/23
Der Kläger leidet seit 2015 an Prostatakrebs, der mit einer Hormontherapie nicht mehr heilbar ist. Aus diesem Grund hatte der Kläger im Streitjahr 2019 Aufwendungen i. H. v. 31 031 Euro und im Streitjahr 2020 Aufwendungen i. H. v. 36 048 Euro steuermindernd geltend gemacht. Das Finanzamt hat die Kosten im Wege der Einkommensteuerveranlagungen zum Teil als berücksichtigungsfähige Krankheitskosten behandelt. Es hat allerdings nicht die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel i. H. v. 9 871 Euro in 2019 und 10 847 Euro in 2020 als außergewöhn-liche Belastungen einbezogen. Diese Präparate waren dem Kläger ärztlich verordnet worden. Der Kläger verwies auf ein ärztliches Attest, einen ambulan-ten Arztbrief, den histopathologischen Befund und den PET-CT-Befund. Er benötige die regelmäßige Einnahme von Spezialpräparaten, weil bereits die Knochen und Lymphdrüsen befallen seien. Das Finanzamt war der Meinung, Nahrungsergänzungsmittel seien nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zuzulassen, da es sich dabei ausdrücklich nicht um Arzneimittel handle, die dem Arzneimittelgesetz unterliegen, sondern um Vitamine, Mine-ral- und Vitalstoffe etc., die als Lebensmittel anzusehen sind. Das FG München hat mit Urteil vom 25.Juli 2024 - Az: 15 K 286/23 die gegen die Ein-kommensteuerbescheide gerichtete Klagen abgewiesen. Das Finanzamt hat die streitgegenständlichen Aufwendungen von 9 871 Euro in 2019 und 10 847 Euro in 2020 zutreffend nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs.1 EStG berücksichtigt - erklärte der FG-Senat. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung können Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - den Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Grün-den zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten beachtet, die zum Heilungszweck einer Krankheit (Medi-kamente, OP) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, etwa Aufwendungen für einen Rollstuhl. Nicht zu den Krankheits-kosten zählen vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen, und solche, die auf einer medizinisch nicht indizierten Behandlung be-ruhen. Es handelt sich insofern um Aufwand, der nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i. S. d. § 33 Abs.2 S.1 EStG entsteht, sondern auf einer freien Willensentschließung beruht und deshalb nach § 12 Nr.1 EStG den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen ist. Aufwendungen für Diätverpflegung sind nach dem Wortlaut des § 33 Abs.2 S.3 EStG und der Entstehungsgeschichte der Ausschlussnorm ausnahmslos nicht als außer-gewöhnliche Belastung abziehbar. Unter Diät ist die auf die Bedürfnisse des Patienten und die Therapie der Erkrankung abgestimmte Ernährung zu ver-stehen, sie kann in der Einschränkung der gesamten Ernährung, in der Vermeidung bestimmter Anteile oder in der Vermehrung aller oder bestimmter Nah rungsanteile bestehen. Zu den Diätformen zählen nicht nur kurzzeitig angewendete Einformdiäten und langzeitig angewandte Grunddiäten, z. B. bei Gicht und Zuckerkrankheiten, sondern auch langzeitige Sonderdiäten mit Anpassung an ständige Leiden. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze stellen die streitgegenständlichen Aufwendungen für Nahrungsergänzungsmittel keine außergewöhnlichen Belastungen i. S. d. § 33 EStG dar. An der Zugehörigkeit von Aufwendungen für Lebensmittel zu den Kosten der privaten Lebensführung ändert auch nichts, dass die Präparate weitgehend ärztlich verordnet wa-ren. Eine “Zwangsläufigkeit” i. S. d. § 33 EStG lässt sich daraus nicht ableiten. Allerdings hatte der BFH noch keine Möglichkeit, genauer darüber zu ent-scheiden, ob in Fällen einer Krebserkrankung die Einnahme von Präparaten in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zwangsläufig i. S. d. § 33 Abs.2 EStG ist. Das Verfahren ist bereits beim Bundesfinanzhof unter dem Az: VI R 23/24 anhängig.
Quelle: Otto Schmidt News, Ärztlich verordnete Nahrungsergänzungsmittel wegen Krebserkrankung als außergewöhnliche Belastung ? Steuerrecht 26.09.2024
W E I T E R E B E R I C H T E F O L G E N
Bundesgerichtshof über Werkvertrag - Minderung schließt Anspruch auf Kostenvorschuss nicht aus
6.10.2024
Hat ein Besteller wegen eines Werkmangels gemindert, kann er später zur Beseitigung des Mangels einen Kostenvorschuss geltend machen. Die Minde-rung schließt nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.August 2024 - Az: VII ZR 68/22 eine spätere Kostenvorschussforderung nicht aus.
Die Auftraggeber ließen sich auf ihrem Grundstück ein Haus bauen. Gegenüber der restlichen Werklohnforderung der Auftragnehmerin machten sie im Zuge einer Widerklage zunächst eine Minderung geltend. Das Landgericht (LG) sah den Wert des Hauses durch die beanstandeten Mängel jedoch nicht als gemindert an und wies die Widerklage ab. Nach Hinweis des Oberlandesgerichts (OLG) im Berufungsverfahren, dass es daran nichts zu beanstanden gebe, schwenkten die Auftraggeber um und forderten nun einen Kostenvorschuss zur Beseitigung der Mängel. Das OLG sah die Auftraggeber an der Um-stellung auf einen Kostenvorschuss nicht gehindert und gab der Widerklage größtenteils statt. Die Revision der Auftragnehmerin vor dem BGH blieb erfolg-los. Laut Auffassung des BGH kann der Besteller selbst dann einen Kostenvorschussanspruch geltend machen, wenn er vorher eine Minderung erklärt hat (BGH Urteil vom 22.August 2024 - Az: VII ZR 68/22). Ebenso wie der Besteller nach der BGH-Rechtsprechung nicht gehindert sei, einen Kostenvor-schuss zur Beseitigung des Mangels zu fordern, wenn er schon einen Anspruch auf kleinen Schadenersatz geltend gemacht habe, schließe eine Minde-rung einen Kostenvorschussanspruch nicht aus, erklärte der BGH-Senat. Nur so werde ein umfassender Ausgleich wegen des Mangels gewährleistet. Ent-scheide sich der Besteller für die Minderung, sei er nur mit einem Anspruch auf Nacherfüllung, einem Rücktritt und einem Anspruch auf großen Scha-densersatz ausgeschlossen. Er könne sich aber weiter entschließen, den Mangel selbst zu beseitigen und für die Kosten einen Anspruch auf kleinen Scha-densersatz (§§ 634 Nr.4, 281 BGB) oder Aufwendungsersatz (§§ 634 Nr.2, 637 Abs.1 BGB) geltend zu machen. Der BGH sieht kein schützenswertes Interesse des Unternehmens, nach einer Minderung nicht mehr auf die Kosten einer Mängelbeseitigung in Anspruch genommen werden zu können. “Es besteht nach der Konzeption der Mängelrechte durch die Schuldrechtsreform kein Grund, über das Erlöschen des Nacherfüllungsanspruchs hinaus die Dispositionsfreiheit des Bestellers zugunsten des Unternehmens einzuschränken.” Demgegenüber sei der Unternehmer doppelt vertragswidrig vorgegan-gen. Weder habe er ein mangelfreies Werk hergestellt - noch sei er seiner Nacherfüllungspflicht nachgekommen. Sei der Besteller damit nach der Minde-rung weiter zur Selbstvornahme bereit, könne er vom Unternehmer einen Kostenvorschuss für den benötigten Betrag verlangen, der die Minderung über-steigt.
Quelle: Redaktion beck-aktuell, hs, Werkvertrag: Minderung schließt Anspruch auf Kostenvorschuss nicht aus, rsw.beck.de 30.September 2024
Abgasskandal: Autohersteller muss an österreichische Dieselfahrzeugkunden hohen Millionenbetrag zahlen
7.10.2024
Der Abgasskandal um unzulässige Abschalteinrichtungen bei Dieselmotoren hat auch bei unseren österreichischen Nachbarn seine Spuren hinterlassen. Etwa 10 000 geschädigte Kunden von Dieselfahrzeugen der Marke V. haben im Rahmen einer Sammelklage 23 Millionen Euro zugesprochen bekom-men. Die Sammelklage, die 2018 von dem Interessenverband VKI eingereicht wurde, hat damit nach über sechs Jahren Dauer seinen Abschluss gefun-den. Auch die V. AG zeigte sich zufrieden, dass eine Lösung für die Beteiligten gefunden wurde. Jedem Betroffenen des Verfahrens steht durchschnittlich eine Zahlung von 2 300 Euro zu, der vom Autohersteller tatsächlich an die betroffenen Dieselfahrzeugkunden zu leistende Betrag richtet sich jedoch nach dem Kaufpreis des erworbenen Fahrzeugs. Nach Auskunft des ÖAMTC sind vom Abgasskandal in Österreich 383 400 Fahrzeuge betroffen, davon u. a. 180 500 von V., von den Konzernmarken V.-Nutzfahrzeuge 24 400, A. 72 500 und S. 31 700. Für andere Betroffene, die sich nur dem Strafverfahren angeschlossen hatten, soll über einen alternativen Rechtsweg nachgedacht werden. Einzelkläger hatten wiederum gegen V. höhere Summen erstritten. Aus den österreichischen Medien wurde der Fall eines Dieselfahrzeugkunden bekannt, der im März 2024 vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) wegen ei-ner unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kompakt-SUV von V. Typ T. erfolgreich Schadensersatz i. H. v. 13 200 Euro geltend machen konnte. Auf internationaler Ebene musste dagegen der V.-Konzern viel höhere Entschädigungen stemmen, beispielsweise in den USA. Laut einem Bericht der US-Aufsichtsbehörde FTC aus dem Jahr 2020 hatte der norddeutsche Autobauer ab 2016 9,5 Milliarden Dollar als Konsequenz aus dem Skandal zu zahlen. Ganz anders in Italien, wo 60 000 Kunden von Dieselfahrzeugen der V. AG im Durchschnitt lediglich 1 100 Euro empfingen.
Fortsetzung folgt.
Quelle: Redaktion Wien.ORF, VW-Abgasskandal: VKI erstreitet 23 Millionen Euro, www.wien.orf.at 2.Oktober 2024, 9.50 Uhr bzw. 18.39 Uhr (Update)
Anwaltskammer kritisiert Meldepflicht für innerstaatliche Steuergestaltung
9.10.2024
Mit dem Ende Juli beschlossenen Regierungsentwurf für das Steuerfortentwicklungsgesetz ist die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) alles andere als zufrieden. Kritisiert wird von der BRAK die Meldepflicht für sog. innerstaatliche Steuergestaltung. Die Anwaltskammer hält diese Meldepflicht für höchst problematisch gerade mit Blick auf die Verschwiegenheitspflicht. Die Führungsgremien der BRAK haben dagegen protestiert. Gemeinsam mit der Bun-dessteuerberaterkammer, der Wirtschaftsprüferkammer und anderen Spitzenverbänden hat die Anwaltskammer darauf hingewiesen, dass damit die Be-mühungen zum Abbau von Bürokratie konterkariert werde. Die steuerliche Bürokratie erweise sich schon jetzt als großer Standortnachteil für Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern, was zu großen Problemen bei Unternehmen und ihren anwaltlichen sowie steuerlichen Beratern führe. Die Melde-pflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen habe schon wenig Erkennnisgewinn gebracht. Die Finanzverwaltung verfüge bereits über eine große Anzahl von Informationen, die diese kaum verarbeiten könne. Insgesamt bestehe kein informelles Defizit bei den Steuerbehörden. Außerdem bestehe die Gefahr einer rechtsstaatswidrigen Aushöhlung der Verschwiegenheitspflicht. Der Bundesratsbeschluss vom 27.September 2024 trage diesen Bedenken keine Rechnung.
Quelle: Rechtsanwaltskammer Hamm, Kammerinfo 14/2024 vom 09.Oktober 2024
Verwaltungsgericht: Keine Verlängerung der Klagefrist durch Behörde
10.10.2024
Klagefristen sind in der Regel genauestens einzuhalten, weil sonst die Klageabweisung wegen Unzulässigkeit droht. Das hat selbst dann Geltung, wenn die “Fristverlängerung” durch eine Behörde gewährt wurde - wie das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg im Urteil vom 2.September 2024 - Az: 6 A 33/23 MD bemerkte.
Eine Dame hatte über die Investitionsbank S.-Anh., dem zentralen Förderinstitut des Landes zur Verteilung öffentlicher Mittel mit Kreditprogrammen, Co-rona-Soforthilfe in Anspruch genommen. Sie bekam danach eine schriftliche Nachricht, in der sie aufgefordert wurde, die Gelder zurückzuzahlen. Dem Rücknahmebescheid war in der Anlage eine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt. Die Dame nahm mit der Investitionsbank telefonisch Kontakt auf und sprach mit einer Mitarbeiterin. Diese bestätigte ihr mit Bezugnahme auf den telefonischen Kontakt per E-Mail eine “Fristverlängerung.” Nach Angaben der betroffenen Dame ging es dabei um die Verlängerung der Klagefrist, um die sie in dem Telefonat ersucht hatte. Etwa einen Monat nach Ablauf der in dem Bescheid festgehaltenen Klagefrist erhob die Betroffene Klage. Sie hatte auf die “Fristverlängerung” vertraut. Erst später, nachdem sie sich anwaltlich hatte beraten lassen, habe sie erfahren, dass die Verlängerung der Rechtsmittelfrist per E-Mail nicht wirksam sei.
Erwartungsgemäß wies das VG ihre Klage als unzulässig ab (VG Magdeburg Urteil vom 2.September 2024 - Az: 6 A 33/23 MD). Bei der einmonatigen Klagefrist handele es sich um eine gesetzliche Frist. Eine Verlängerung der gesetzlichen Frist sei vom Grundsatz her ausgeschlossen, es sei denn, die Mög-lichkeit der Verlängerung sei gesetzlich ausdrücklich geregelt. Für die Klagefrist fehle allerdings eine entsprechende Ermächtigung. Die Investitionsbank S.-Anh. habe den Fristablauf zudem mit Erlass des Bescheids aus der Hand gegeben. Daher sei eine etwaig mitgeteilte Verlängerung der Klagefrist von An-fang an ins Leere gegangen. Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren - so das VG. Sie habe die Klagefrist schuldhaft versäumt. Der rechtzeitigen Klageerhebung habe auch kein Hindernis im Weg gestanden. Die Dame habe vom Rücknahmebescheid noch während des Laufs der Klagefrist Kenntnis genommen. Es wäre ihr jederzeit möglich gewesen, umgehend Klage zu erheben. Die Versäumung wäre auch vermeidlich gewesen, hätte sich die Klägerin schnell um fachkundigen Rat bemüht. Sie habe gerade nicht auf eine von der Rechtsbehelfsbelehrung abweichende Aus-kunft der Förderbank vertrauen dürfen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 2.September 2024 - Az: 6 A 33/23 MD ist nicht rechtskräf-tig.
Quelle: Redaktion beck-aktuell, bw, Eine Behörde kann keine Klagefrist verlängern, rsw.beck.de 7.Oktober 2024
Bundesgerichtshof über Millionenerbe - Eltern dürfen für ungeborenes Kind ausschlagen
5.10.2024
Die bewußte Ausschlagung eines Millionenerbes für das eigene Kind, um Erbschaftssteuer zu sparen, müssen sich Eltern nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4.September 2024 - Az: IV ZB 37/23 nicht vom Familiengericht genehmigen lassen, selbst wenn sie durch die gesetzliche Erbfolge selbst wieder zu Erben werden.
Eine vermögende Dame hinterließ nach ihrem Tod einen Nachlass i. H. v. über 1,2 Millionen Euro. Laut ihrem Testament war ihr Ehegatte Alleinerbe. Die beiden Kinder waren als Ersatzerben bestimmt worden, danach sollten ihre Nachkommen zum Zug kommen. Die Frau des Sohnes erwartete ein Kind, als ihre Schwiegermutter verstarb. Angesichts der Erbschaftssteuerbelastung schlug der Ehemann und die beiden Kinder für sich das Erbe aus, der Sohn auch für sein ungeborenes Kind. Damit sollte die gesetzliche Erbfolge eintreten, so dass sich die Erbschaftssteuer auf den Ehemann der Dame und die beiden Kinder verteilen sollte. Das Nachlassgericht verwies den Sohn an das Familiengericht, da es davon ausging, dass die Ausschlagung für den in der Zwischenzweit geborenen Säugling genehmigt werden müsse. Dies lehnte das Familiengericht ab - den Nachkommen erwarte viel Geld - das Nachlassge-richt weigerte sich, ein Europäisches Nachlasszeugnis auf Grundlage der gesetzlichen Erbfolge auszustellen. Das Oberlandesgericht (OLG) wies die Be-schwerde gegen die Ablehnung des Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge zurück, weil die genehmigungsfreie Ausschlagung durch die Eltern nach § 1643 Abs.3 S.2 BGB für diesen Fall der “lenkenden Ausschlagung,” die zu einem wirtschaftlich einschränkenden Gewinn der Eltern führe, teleologisch reduziert werden müsse. Für eine einschränkende Anwendung des § 1643 Abs.3 S.1 BGB sah der IV. Zivilsenat des BGH keinen Grund und gab dem Rechtsbegehren des Witwers mit Beschluss vom 4.September 2024 - Az: IV ZB 37/23 statt. Nach Ansicht des höchsten deutschen Zivilgerichts waren der Ehemann und die beiden Kinder - anders als das OLG - zu gesetzlichen Erben der Verstorbenen geworden. Eine Regelungslücke, die es rechtfertigen würde, als Analogie eine zusätzliche Genehmigung einzuführen, bestehe nicht. “Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber übersehen hätte, eine Rege-lung für den Fall der (genehmigungsfreien) ”lenkenden" Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses zu treffen, liege nicht vor," stellte der BGH heraus. Dies zeige schon die historische Entstehung des § 1643 BGB. Der Gesetzgeber habe einen Interessenkonflikt nicht für möglich gehalten, wenn zunächst der Elternteil die ihm zugefallene Erbschaft wegen der Erbfolge aus dem Testament beschränkt ausschlage und anschließend als gesetzlicher Vertreter seines als Ersatzerben berufenen minderjährigen Kindes für dieses die Erbschaft ausschlägt. Dies hat auch dann Geltung, wenn der Nachlass - wie im vorliegenden Fall - werthaltig und die Ausschlagung selektiv sei. Auch der Sinn- und Normzweck setze keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs im Fall der “lenkenden” Ausschlagung voraus. Denn selbst ein Interessenkonflikt rechtfertige es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht, die Wirksamkeit der “lenkenden” Ausschlagung eines werthaltigen Nachlasses von einer familiengerichtlichen Genehmigung abhängig zu machen.
Quelle: Redaktion beck-aktuell, ns, Millionenerbe: Erben dürfen für ungeborenes Kind ausschlagen, rsw.beck.de 30.September 2024
Bundesverfassungsgericht weist Richtervorlage zum Kinderfreibeitrag für das Jahr 2014 zurück
9.10.2024
Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) hatte Zweifel, dass der Kinderfreibetrag für das Jahr 2014 den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerG) hat mit Beschluss vom 5.September 2024 - Az: 2 BvL 3/17 die Richtervorlage als unzulässig angesehen.
Die Entscheidung bezieht sich auf § 32 Abs.6 S.1 Halbsatz 1 und S.2 und 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der im Jahr 2014 geltenden Fassung. Der Kinderfreibetrag ist Teil des Familienleistungsausgleichs, der das Existenzminimum eines Kinds steuerlich freistellen soll. Der Kinderfreibetrag lag im Januar 2014 bei 4 368 Euro pro Kind. Außerdem gibt es einen Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf, der 2 640 Euro betrug. Eltern können entweder Kindergeld erhalten oder die Freibeträge bei der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigen lassen, je nachdem, was für sie günstig ist. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine alleinerziehende Mutter. Sie hielt die Höhe des Kinderfreibetrags für verfassungswidrig. Gegen den Steuerbescheid legte sie Einspruch ein, der keinen Erfolg hatte. Das Niedersächsische FG legte daraufhin die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrags 2014 dem BVerfG vor. Das BVerfG erklärte die Vorlage des FG für unzulässig. Die Begründung des Gerichts erfülle nicht die Voraus-setzungen einer nachvollziehbaren Erläuterung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Dem BVerfG fehle eine genaue Prüfung der Verfassungsmäßig-keit. Das Niedersächsische FG richtete sich nach den Angaben aus dem Neuenten Existenzminiumbericht der Bundesregierung, der eine Erhöhung des Kinderfreibetrags auf 4 400 Euro für 2014 angeregt hatte. Das BVerfG kritisierte, dass nicht geklärt werde, aus welchem Grund dieser Bericht ausschlag-gebend sein sollte. Die Existenzminimumberichte dienen als Erkenntnisquelle, seien jedoch nicht bindend für die gesetzliche Festlegung des Freibetrags. Das FG habe den altersunabhängigen Durchnittsbetrag des Kinderfreibetrags beanstandet, ohne sich im Einzelnen mit der Rechtsprechung des BVerfG und des Bundesfinanzhofs (BFH) zu befassen. Eine genaue Klärung der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Regelung habe es nicht gegeben.
Quelle: Haufe Online Redaktion, Verfassungsbeschwerde zum Kinderfreibetrag 2014 unzulässig, www.haufe.de News 04.10.2024
Finanzgericht: Positives Eigenkapital ist nach GmbH-Umwandlung in KG für Zwecke des § 4 EStG als Einlage zu beachten
8.10.2024
Im Fall der formwechselnden Umwandlung einer GmbH in eine Personengesellschaft ist das von dieser übernommene positive Eigenkapital als (fiktive) Einlage im Wege des Abzugsverbots für Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a Einkommensteuergesetz (EStG) zu beachten. Sofern ersichtlich liegt zu dieser Konstellation bisher keine ausdrückliche höchstrichterliche Rechtsprechung vor, weshalb zur Fortbildung des Rechts die Revision zuzulassen war - erklär-te das Finanzgericht (FG) Münster im Urteil vom 12.Juni 2024 - Az: 6 K 564/19 G, F.
Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG, die im Jahr 2010 durch formwechselnde Umwandlung aus einer GmbH entstanden ist. Neben der Komplemen-tärin, einer GmbH, sind an ihr als Kommanditistinnen zwei weitere Personengesellschaften beteiligt. Das Finanzamt behandelte einen Teil der Schuldzin-sen der Klägerin für das Streitjahr 2012 als nicht abziehbar nach § 4 Abs.4a EStG. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe Entnahmen i. S. d. § 4 Abs.4a EStG betriebsbezogen dargestellt. Habe der Steuerpflichtige mehrere Betriebe oder sei an anderen Personengesellschaften beteiligt, sei der Schuldzinsenabzug für jeden Betrieb bzw. Mitunternehmeranteil eigenständig zu ermitteln. Die von der Klägerin befürwortete eingeschränkte Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG auf mehrstöckige Personengesellschaften komme daher nicht in Betracht. Dagegen wandte die Klägerin ein, dass diese Vorschrift auf mehrstöckige Personengesellschaften keine Anwendung findet. Hilfsweise sei das im Zeitpunkt des Formwechsels bestehende positive Eigenkapital der GmbH als Einla-ge zu beachten, sodass keine Überentnahme vorläge. Das FG Münster hat mit Urteil vom 12.Juli 2024 - Az: 6 K 564/19 G, F der Klage stattgegeben. Das Finanzamt hatte zu Unrecht im Zuge der einheitlichen und gesondert festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Grundlage des Gewerbesteuer-messbetrags einen Hinzurechnungsbetrag gem. § 4 Abs. 4a EStG für nicht als Betriebsausgaben abziehbare Schuldzinsen beachtet. Zwar findet § 4 Abs. 4a EStG - entgegen der Ansicht der Klägerin - auf mehrstöckige Personengesellschaften keine Anwendung. Die Vorschrift ist nämlich betriebsbezogen an-zusehen, sodass die Hinzurechnung für jeden einzelnen Betrieb vorzunehmen ist, für den eine eigenständige Gewinnermittlung durchgeführt wird. Eine betriebsübergreifende Betrachtung bei Konzernen steht im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber angestrebten Vereinfachung. Jedoch ist das von der GmbH im Zuge der Umwandlung übernommene Eigenkapital als Einlage bei der Berechnung der Über- bzw. Unterentnahmen zu beachten. Damit hat der FG-Senat der Ansicht der Finanzverwaltung widersprochen, wonach die Über- bzw. Unterentnahmen im Zeitpunkt eines Formwechsels einer GmbH stets 0 Euro be-tragen, weil § 4 Abs. 4a EStG auf Kapitalgesellschaften keine Anwendung finden. Letzteres ist zwar zutreffend, jedoch ist der Einlagen-begriff für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG in Fällen des Formwechsels normspezifisch auszulegen. Das Umwandlungssteuerrecht fingiert bei einem Form-wechsel eine Vermögensübertragung vom bisherigen auf einen neuen Rechtsträger - hier der Klägerin - zu führen. Dieser Vorgang kann nicht anders be-urteilt werden als die Neugründung einer Personengesellschaft mit erstmaliger Mittelzuführung durch die Gesellschafter. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck des § 4 Abs.4a EStG, der nach dem sog. Eigenkapitalmodell ausgestattet ist. Das Eigenkapital, das durch Gewinne und Einlagen aufgestockt und durch Entnahmen und Verluste verbraucht wird, bildet die Grenze dessen, was dem Betrieb entzogen werden darf, ohne die Rechtsfolgen des § 4 Abs.4a EStG auszulösen. So-fern ersichtlich liegt zu der Frage, ob im Falle der formwechselnden Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesell-schaft das von der Personengesellschaft übernommene positive Eigenkapital der Kapitalgesellschaft im Zuge des § 4 Abs.4a EStG als (fiktive) Einlage i. S. d. § 4 Abs.4a S.2 EStG zu berücksichtigen ist, bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Insofern war gem. § 115 Abs.2 Nr.2 Finanzgerichts-ordnung (FGO) zur Fortbildung des Rechts die Revision zuzulassen. Die Revision wird bereits beim BFH unter dem Az: IV R 10/24 geführt.
Quelle: Otto Schmidt News, Positives Eigenkapital ist nach Umwandlung einer GmbH in eine KG für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG als Einlage zu berück-sichtigen, Steuerrecht 16.09.2024
Bundesgerichtshof: Umfang des Anspruchs eines Versicherungsvertreters auf einen Buchauszug
4.10.2024
Der Anspruch eines Versicherungsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs nach § 92 Abs.2 Handelsgesetzbuch (HGB) i. V. m. § 87c Abs.2 HGB umfasst auch Angaben zu prämien- oder provisionsrelevanten Sondervereinbarungen zwischen dem Unternehmen und dem Versicherungsnehmer - erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 25.Juli 2024 - Az: VIII ZR 145/23.
Die Klägerin war für die Beklagte von 1995 bis September 2018 als selbständige Handelsvertreterin tätig. Sie bezog Abschlussprovisionen, Betreuungs- und Verwaltungsprovisionen und Verlängerungsprovisioen, über welche die Beklagte monatlich abrechnete. Am 17.Juli 2017 hatte die Beklagte den mit der Klägerin bestehenden Vertrag zum 30.September 2018 gekündigt. Nach Ende ihrer Tätigkeit forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr eine Berech-nung ihres Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB nach den “Grundsätzen zur Errechnung ihres Ausgleichsanspruchs (§ 89b HGB)” und einen Buchaus-zug zukommen zu lassen. Die Beklagte war der Auffassung, dass der Klägerin kein Ausgleichsanspruch zustehe. Auf das Verlangen nach dem Buchaus-zug reagierte die Beklagte zunächst nicht. Erst nach Anhängigkeit der Klage teilte die Beklagte der Klägerin im Januar 2019 mit, dass der Buchauszug er-stellt sei und bei ihr abgeholt werden könne. Die Klägerin tat dies im September 2019. Die Klägerin war der Ansicht, ihr Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs sei noch nicht erfüllt worden. Da das Abrechnungssystem der Beklagten fehlerhaft sei und zu fehlerhaften Abrechnungen führe, sei auch der vorgelegte Buchauszug fehlerhaft. Anhand der von der Beklagten als Buchauszug vorgelegten Dokuments sei es nicht möglich, den tatsächlich ver-dienten Provisionsanspruch zu berechnen. Der von ihr geltend gemachten Auskunftsanspruch rechtfertigte sich aus § 87c Abs.3 HGB und aus § 89b HGB. Die Beklagte habe ferner seit Oktober 2018 keine Provisionsabrechnungen mehr erteilt und rechne auch nicht über eine in unzulässiger Weise gebildete Stornoreserve ab. Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) haben der Klage nur zum Teil stattgegeben. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, auf Angaben zu “Art und Inhalt des Vertrags (Sparte, Tarifart, prämien- oder provisionsrelevante Sondervereinbarungen)” be-stehen zur Prämienberechnung ein Anspruch, sofern sie sich auf Sparte und Tarifart bezögen. Dagegen bestehe kein Anspruch auf Angabe zu “prämien- oder provisionsrelevanten Sondervereinbarungen.” Dieser Begriff sei wertungsunabhängig und damit für die Zwangsvollstreckung nicht genügend be-stimmt. Angaben hierzu könnten daher vom Handelsvertreter im Zuge eines Buchauszugs nicht gefordert werden. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin vor dem BGH hatte Erfolg. Der Anspruch eines Versicherungsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs gem. § 92 Abs.2 HGB i. V. m. § 87c Abs.2 HGB umfasst auch Angaben zu prämien- oder provisionsrelevanten Sondervereinbarungen zwischen dem Unternehmer und dem Versicherungs-nehmer. Der Versicherungsvertreter kann gem. § 92 Abs.2 HGB i. V. m. § 87c Abs.2 HGB bei der Abrechnung einen Buchauszug über alle Geschäfte verlangen, für die ihm nach § 87 HGB Provision gebührt. Der Buchauszug muss die im Zeitpunkt seiner Aufstellung für die Berechnung, die Höhe und die Fälligkeit der Provisionen bedeutsamen Geschäftsverhältnisse vollständig widerspiegeln, sofern sie sich aus den Büchern des Unternehmers entneh-men lassen (Verweis auf BGH Urteil vom 21.November 2001 - Az: VIII ZR 149/99). Welche Angaben über die Geschäfte für die Provision des Handels-vertretervertrags im Einzelfall von Bedeutung sind, hängt von der zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer geltenden Provisionsregelung ab. Dies ergibt sich primär aus der zwischen ihnen getroffenen Provisionsvereinbarung und aus den zwingenden gesetzlichen Regelungen (§ 87a Abs.2 bis 4 HGB) und, sofern die besondere Vereinbarung nicht getroffen wurde, aus den dispositiven Regelungen (§§ 92, 87, 87a Abs.1 HGB). Der Buchauszug soll es dem Handelsvertreter ermöglichen, sich über seine Provisionsansprüche Klarheit zu verschaffen und die ihm vom Unternehmer erteilte oder noch zu erteilende Provisionsabrechnungen zu kontrollieren - Verweis auf das BGH Urteil vom 3.August 2017 - Az: VII ZR 32/17). Er muss deshalb eine bis ins Einzelne gehende Bestandsaufnahme der Kundenbeziehungen des Unternehmens, soweit sie die Provisionsansprüche des Handelsvertreters berühren, auf der einen Seite und der vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmer und Handelsvertreter auf der anderen Seite darstellen. Er hat daher neben der genauen Anschrift des Vertragspartners für den Vertreter wesentliche Inhalte der Verträge, nämlich die gelieferte Menge, Preise und sonstige Abreden, zu enthalten. Die Erteilung des Buchauszugs darf keine Vorwegnahme der Entscheidung enthalten, ob das aufgenommene Geschäft auch provisions-pflichtig ist oder nicht. Nur die zweifelsfrei nicht provisionspflichtigen Geschäfte können bei der Erteilung des Buchauszugs unberücksichtigt bleiben. Infolgedessen zähle zu den von einem Versicherungsvertreter zu fordernden Angaben in einem Buchauszug über die zur Identifizierung des Geschäfts erforderlichen Merkmale (Versicherungsnehmer, Versicherungsnummer, Art und Sparte des Vertrags, Tarif) hinaus auch Angaben zu den für die Provision wesentlichen Inhalt des Versicherungsvertrags (Jahresprämie, prämien- und provisionsrelevante Sondervereinbabarungen). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der auf Aufnahme dieser Angaben gerichtete Klageantrag der Klägerin hinreichend bestimmt.
Quelle: Otto Schmidt News, Umfang des Anspruchs eines Versicherungsvertreters auf einen Buchauszug, Wirtsschaftsrecht 18.09.2024
Bundesarbeitsgericht zu Überlassungshöchstdauer und Betriebsübergang auf Entleiherseite - Vorabentscheidungsersuchen an Europäischen Gerichtshof
4.10.2024
Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um zu klären, wie die in § 1 Abs.1b S.1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geregelte Überlassungshöchstdauer unionsrechtskonform zu berechnen ist, wenn auf der Entleiherseite ein Betriebsübergang erfolgt ist (BAG Beschluss vom 1.Oktober 2024 - Az: 9 AZR 264/23).
Die Beklagte zählt zu einer Unternehmensgruppe, die u. a. Sanitärarmaturen produziert. Als im Logistik-Bereich tätiges Unternehmen unterhält die Beklag te am Produktionsstandort einen Betrieb, in dem die Produkte verpackt, gelagert und für den Transport vorbereitet werden. Die früher von dem Produk-tionsunternehmen als Betriebsteil selbst unterhaltene Logistik ist zum 1.Juli 2018 auf die Beklagte übergegangen. Der Kläger war in der Logistik ohne Unterbrechung vom 16.Juni 2017 bis zum 6.April 2022 als Leiharbeitnehmer mit der Kommissionierung von Produkten beschäftigt. Bis zu dem Über-gang des Betriebsteils auf die Beklagte am 1.Juli 2018 war Entleiher das Produktionsunternehmen. Die Beklagte ist wie das Produktionsunternehmen Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie NRW e. V.. § 1 Abs. 1b S.1 AÜG regelt, dass der Verleiher den gleichen Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate “demselben Entleiher” überlassen darf, wobei durch oder aufgrund des Tarifvertrag der Einsatzbranche nach § 1 Abs. 1b AÜG eine vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden kann. Der Kläger geht davon aus, zwischen den Parteien sei zum 16.Dezember 2018 wegen Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gem. § 10 Abs.1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekom-men. Das Produktionsunternehmen als Betriebsveräußerer und die Beklagte als Betriebserwerber seien im Sinne des Gesetzes als derselbe Entleiher an-zusehen. Die Beklagte ist gegenteiliger Ansicht. Im Falle eines Übergangs des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber beginne die Überlassungshöchst-dauer neu zu laufen. Dies habe auch dann Geltung, wenn der Leiharbeitnehmer nach Betriebsübergang unverändert auf dem gleichen Arbeitsplatz einge-setzt werde. Die Beklagte beruft sich weiterhin darauf, dass die gesetzlich zulässige Überlassungshöchstdauer auf der Grundlage des Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarungen auf zuletzt 48 Monate verlängert worden sei. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm das Urteil des ArbG abgeändert und u. a. festgestellt, dass zwischen den beiden Parteien seit dem 16.Juni 2021 ein Arbeitsverhältnis besteht (LAG Hamm Urteil vom 18.Oktober 2023 - Az: 10 Sa 353/23). Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Be-klagte Revision eingelegt. Der Neunte Senat des BAG hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Klärung von Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104 EG gebeten (BAG Beschluss vom 1.Oktober 2024 - Az: 9 AZR 264/23). Der BAG-Senat hält es für klärungsbedürftig, ob und ggf. unter welchen Anforderungen bei der Berechnung der Überlassungsdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein “entleihendes Unternehmen” i. S. von Art.3 Abs.1 Buchst. d) der Richtlinie anzusehen sind. Davon hängt es ab, ob das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten 18 Monate nach der Überlassung des Klägers zum 16.Dezember 2018 oder erst 18 Mo-nate nach dem Betriebsteilübergang zum 1.Januar 2020 zustande gekommen ist. Auf die abweichende vom Gesetz nach dem Tarifvertrag Leih- und /Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie NRW zulässige Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten konnte sich die Beklagte nicht beziehen. Sie betreibt keinen Hilfs- oder Nebenbetrieb, der den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags unterliegt. Die dort angefallene Logistiktätigkeit ist nicht Teil des Fertigungsprogramms.
Quelle: Bundesarbeitsgericht Pressemitteilung Nummer 25/24 vom 1.10.2024
WEITERE BERICHTE FOLGEN
Landessozialgericht zu Grundsicherungsrecht - Schöffenbezüge müssen angemeldet werden
10.10.2024
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 29.August 2024 - Az: L 11 AS 75/21 entschieden, dass verschwiegene Bezüge für die Tätigkeit als Schöffe bei Gericht zur Rückzahlung von Grundsicherungsleistungen führen können.
Bei dem Kläger handelt es sich um einen 56-jährigen Ingenieur aus einer norddeutschen Großstadt, der seit 2012 Grundsicherungsleistungen bezieht. Mitte 2013 nahm er am Landgericht (LG) eine Tätigkeit als Schöffe auf, die er dem Jobcenter nicht mitteilte. Im Zuge der Entschädigung als Schöffe in-formierte er das LG, dass er als Ingenieur und Energieberater einen Monatslohn von 3 500 Euro verdiene. Auf dieser Grundlage machte er eine Zeit- und Verdienstausfallentschädigung, die sich für die einzelnen Tätigkeiten in den Jahren 2015 und 2016 auf rd. 2 800 Euro beliefen. Nachdem das Jobcenter davon erfahren hatte, machte es - unter Beachtung der monatlichen Freibeträge - eine Erstattungsforderung von rd. 800 Euro geltend. Dagegen klagte der Ingenieur, denn ihm stehe ein Jahresfreibetrag von 2 400 Euro für Aufwandsentschädigungen zu. Eine Erstattung halte er unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für ausgeschlossen. Auch habe er wissentlich keine Entschädigung für den Verdienstausfall beantragt. Dem LG sei bekannt gewesen, dass er Grundsicherungsempfänger sei und das Jobcenter habe Kenntis von seiner Schöffentätigkeit gehabt. Das LSG hat die rechtliche Position des Job-centers bestätigt. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sei kein Jahresfreibetrag, sondern ein Monatsfreibetrag von 200 Euro zu berücksichtigen. Erst 2023 sei mit dem Bürgergeldgesetz eine neue Ausrichtung auf das Jahresprinzip erfolgt. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil er gegenüber dem Jobcenter unvollständige Angaben gemacht habe. Er habe nur darüber informiert, dass er unter Umständen mal als Schöffe tätig sein werde. Über eine genaue Ausübung der Tätigkeit bzw. empfangene Entschädigungen habe er keine Auskünfte gegeben. Selbst ein allgemeines Beratungs-gespräch befreie ihn nicht von seinen konkreten Anzeigen- und Mitteilungspflichten.
Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Presseinformation vom 4.10.2024
Oberlandesgericht über Kraftwerksexplosion - Keine Haftung der Prüferin eines Kesselgehäuse für spätere Explosion
8.10.2024
Die Parteien befinden sich im Streit um Regressansprüche angesichts einer Explosion im Steinkohlekraftwerk St. im hessischen Gr. (Mai 2014). Seinerzeit zerbarst eine Kesselumwälzpumpe. Das Gehäuse der Pumpe war ein drucktragendes Bauteil aus Stahl. Die Beklagte hatte - als Subunternehmerin - bei einer Routineprüfung von Gehäuseteilen 2012 durch Ultraschall keine Risse feststellen können. 2012 änderte die Betreiberin die Betriebsweise des Kraft-werks. Die Fahrweise des Kraftwerks wurde flexibilisiert; es kam öfters zu Lastenwechseln und damit verbunden zu Schwankungen der Druck- und Tem-peraturzustände. Am Unglückstag fanden mehrere Lastwechsel statt. Es kam im Bereich eines Ermüdungsrisses zum Bruch des Gehäuses und einer Ex-plosion. Diese führte zu erheblichen Schäden an den Gebäudeteilen und dem Austreten von Trümmerteilen durch die Gebäudehülle. Personen wurden nicht verletzt. Die Klägerin, eine Versicherung, nimmt aus abgetretenem Recht u. a. der Betreiberin des Kraftwerks die Beklagte auf Schadensersatz i. H. v. 65 Millionen Euro in Anspruch, da die Prüfung fehlerhaft ausgeführt worden sei. Das Landgericht hielt die Klage für unbegründet (LG Hanau Urteil vom 7.Juli 2022 - Az: 9 O 328/18). Auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main blieb erfolglos. Die Beklagte hafte nicht auf Schadensersatz - so das OLG Frankfurt a. M. im Urteil vom 4.September 2024 - Az: 9 U 58/22. Mangels direkter vertraglicher Beziehung kommen allein deliktische Ansprüche infrage. Die Klägerin halte der Beklagten eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht i. F. einer unvollständigen Prüfung und da-rauf basierend die Erstellung eines unvollständigen Prüfprotokolls vor. Die Betreiberin sei allerdings selbst verkehrssicherungspflichtig und habe die Be-triebssicherheit der Anlage sicherzustellen und aufrechtzuhalten. Da diese Verkehrssicherungspflicht nicht auf die Beklagte übergegangen sei, könne sie sich gegenüber der Beklagten nicht auf eine derartige Verletzung berufen. Sofern die Klägerin sich auf unterlassene weitere Prüfungen berufe, die mittelbar zur Explosion geführt haben sollen, lägen die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung nicht vor. Die konkreten Verantwortungsbereiche der Beteilig-ten sprächen nicht für eine Garantenstellung der Beklagten. Darüber hinaus habe die Klägerin auch nicht bewiesen, dass die von ihr behauptete Pflicht-verletzung kausal für den späteren Schaden gewesen sei. Die Klägerin sei insofern voll beweispflichtig - Raum für Beweiserleichterungen gebe es nicht. Zwischen den Parteien sei unstreitig, daass die Kesselumwälzpumpe je nach Betriebsart verschiedene Temperatur- und Druckzustände ausgesetzt war, die wiederum zu verschiedenen Belastungszuständen und dadurch verursachten Materialbelastungen führen. Zudem habe die Betreiberin wesentliche Bruchstücke vernichtet und damit eine Überprüfung verhindert; auch die Betriebsdaten hätten nicht mehr vollständig vorgelegen. Im gerichtlichen Vorfeld vorgenommene sachverständige Werkstoffuntersuchungen hätten nicht klären können, ob ein Riss zum Prüfzeitpunkt durch die Beklagte vorhanden gewe-sen sei. Für ein weiteres Gutachten habe keine Veranlassung bestanden - so der OLG-Senat. Das Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 4.September 2024 - Az: 9 U 58/22 ist nicht rechtskräftig, mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin ggf. die Zulassung der Revision beim Bundesgerichts-hof begehren.
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main Pressemitteilung Nr. 49/2024 vom 04.09.2024
WEITERE BERICHTE FOLGEN
Landgericht über mögliches Sonderkündigungsrecht nach 30 Jahren bei dauerhaftem Ausschluss des Kündigungsrechts erfordert Kündigungsgrund
9.10.2024
Wenn die Mietvertragsparteien einen Kündigungsausschluss auf Dauer geregelt haben, kommt eine Sonderkündigung nach 30 Jahren unter entsprechen-der Anwendung des § 544 BGB nur infrage, falls ein berechtigtes Interesse an der Kündigung gegeben ist - stellte das Landgericht (LG) Berlin II im Urteil vom 30.Mai 2024 - Az: 65 S 189/23 heraus.
Über eine Wohnung in der Hauptstadt wurde im Jahr 1992 ein Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen. Im Rahmen einer Zusatzvereinbarung re-gelten die Mietvertragsparteien, dass das Mietverhältnis vom Vermieter nicht gekündigt werden kann. Später kam es auf Vermieterseite zu einem Wechsel, im Oktober 2022 erklärte der neue Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses. Die Mieterin akzeptierte die Kündigung jedoch nicht, der Vermieter erhob daraufhin Räumungsklage. Das Amtsgericht gab der Räumungsklage statt. Nach Meinung des Gerichts kann die Kündigung auf § 544 BGB ge-stützt werden. Der Ausschluss der Kündigung sei so zu deuten, als ob das Mietverhältnis für eine längere Zeit als 30 Jahre geschlossen worden sei. Ge-gen die Entscheidung richtete sich die Berufung der Mieterin vor dem LG Berlin II, dieses entschied zu ihren Gunsten. Dem Vermieter stehe kein An-spruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung zu. Seine Kündigung sei nämlich unwirksam. Diese habe nicht unmittelbar auf § 544 BGB gestützt werden können, weil kein befristeter Mietvertrag für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren abgeschlossen wurde. Vielmehr liege ein Vertrag vor, der auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde. Solche Verträge können nicht gestützt auf § 544 BGB gekündigt werden, selbst wenn sie länger als 30 Jahre lau-fen. Sofern eine Kündigung in entsprechender Anwendung des § 544 BGB für möglich erachtet wird, gab die Kammer des LG zu bedenken, erfordere es trotzdem eines Kündigungsgrundes. Ein Mietvertragsverhältnis könne nicht einfach nach Ablauf von 30 Jahren ohne Angabe von Gründen gekündigt wer-den.
Oberlandesgericht: Keine “Laubrente” für Pool-Reinigung
9.10.2024
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 16.August 2024 - Az: 19 U 67/23 die Geltendmachung eines Entschädigungsan-spruchs durch einen Grundstückseigentümer wegen erhöhter Reinigungskosten für seinen (offenen) Swimming-Pool durch Laub- und Fruchteintrag, der von zwei auf dem benachbarten Grundstücks stehenden Bäumen ausging, abgelehnt. Der Kläger/Grundstückseigentümer verlangt von seiner Nachbarin im vorliegenden Fall monatlich 277,62 Euro als sog. Laubrente. Auf dem Grundstück der Beklagten setehen zwei 90 Jahre alte Eichen, der Grenzabstand ist unterschritten. Der Kläger hat einen Outdoor-Pool bauen lassen und beanstandet den intensiven Reinigungsaufwand seines Pools durch herabfallenes Laub und Eicheln. Das Landgericht (LG) hielt die Klage des Grundstückeigentümers für begründet. Demgegenüber hat das OLG Frankfurt a. M. als Beru-fungsinstanz deutlich gemacht, dass die Beeinträchtigung des Pools durch Laub- und Fruchtanfall keine rechtwidrige Einwirkung darstelle, die eine Ent-schädigungspflicht der beklagten Nachbarin begründe (OLG Frankfurt a. M. Urteil vom 16.August 2024 - Az: 19 U 67/23). Auch wenn man von einer Einhaltung des Grenzabstands der Bäume ausgehen würde, wäre mit ähnlichen Einwirkungen zu rechnen. Der Kläger habe den Pool bewußt in einem baumreichen Gebiet errichten lassen - so der OLG-Senat - und müsse deshalb den größeren Aufwand für die Reinigung seines Pools akzeptieren.
Quelle: JuraForum.de-Redaktion, OLG Frankfurt: Keine Entschädigung für Laubeintrag im Pool, www.juraforum.de 07.10.2024 I11: 12I