Mandantenbereich

Kanzlei News

Neuigkeiten aus unserer Kanzlei, wegweisende Urteile und spannende Themen

aus Recht, Steuern und Finanzen für Sie ausgewählt und ständig aktualisiert:

 

Bundesgerichtshof: Aktienrechtlicher Schutz des gutgläubigen Dividenden-empfängers schließt Insolvenzanfechtung nicht aus

22.5.2023

Der aktienrechtliche Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers schließt eine Insolvenzanfechtung nicht aus. Eine Dividendenzahlung an den Aktionär ist nicht deshalb unentgeltlich, da der zugrundeliegende Gewinnverwendungs-beschluss infolge der (späteren) Ersetzung des Jahresabschlusses seine Wir-kung verliert – laut Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30.März 2023 – Az: IX ZR 121/22 zu entnehmen.

Der Kläger ist Verwalter in dem auf dem Antrag vom 12.November 2013 am 1.April 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. KGaA (Schuldnerin). Die Beklagte ist Kommanditaktionärin der Schuldnerin. Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Schenkungsanfech-tung nach § 134 Insolvenzordnung (InsO) auf Rückgewähr von Dividenden-zahlungen für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 in Anspruch. Die vorinsol-venzlich erstellten und festgestellten Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitbefangenen Jahre wiesen Gewinne aus. Gewinnverwendungsbeschlüsse wurden gefasst. Auf der Grundlage der Gewinnverwendungsbeschlüsse erhielt die Beklagte die angefochtenen Dividendenzahlungen. Der Kläger erhob Kla-gen auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Gewinnver-wendungsbeschlüsse. Für die Jahre 2009 und 2010 wurde nur die Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse  für die Jahre 2009 und 2010 hielt das (dor-tige) Berufungsgericht für unzulässig, weil der Kläger die Jahresabschlüsse in der Zwischenzeit ersetzt hatte. Die Feststellung der Nichtigkeit der Gewinnver-wendungsbeschlüsse begründete das Gericht damit, dass diesem durch die Er-setzung der Jahresabschlüsse die Grundlage entzogen worden sei. Dass die Ge-winnverwendungsabschlüsse von Anfang an nichtig gewesen sein könnten, blieb offen. Für die Jahre 2011 und 2012 wurde die ursprüngliche Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und Gewinnverwendungsbeschlüsse festgestellt. Das (hiesige) Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht (OLG) gab ihr bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen statt. Auf die Revision der Be-klagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung an das OLG zurück. Die bisher getroffenen Feststellungen des OLG rechtfertigen nicht die Annahme, auch die Dividendenzahlung für die Ge-schäftsjahre 2009 und 2010 seien gem. § 134 Abs.1 InsO anfechtbar. Es stehe nicht fest, dass es zum Zeitpunkt der Leistungen der Schuldnerin (§ 140 InsO) keinen Anspruch der Beklagten auf Auszahlung der Dividende gab. Das OLG meint, die Beklagte habe keinen Anspruch auf die Dividende der Geschäftsjah-re 2009 und 2010 gehabt, weil die auf die vom Kläger erhobenen Nichtfeststel-lungsklagen die Nichtigkeit der entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlüs-se mit der Rechtskraftwirkung des § 248 AktienG festgestellt worden sei. Die Feststellung  der Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse ist jedoch für die Jahre 2009 und 2010 damit begründet worden, dass diese durch die (spä-tere) Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger die Grundlage entzo-gen worden sei. Ob die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig waren, ist offengeblieben. Eigene Feststellungen  zur ursprünglichen Unwirk-samkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sollten die Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009  und 2010 usprünglich wirksam gewesen sein, dürfte die Dividendenzahlung als Ge-genleistung für die Zurverfügungstellung des entsprechenden Risikokapitals entgeltlich gewesen sein. Die spätere Ersetzung der Jahresabschlüsse durch den Kläger konnte den Auszahlungsanspruch der Beklagten nicht ohne wei-teres beseitigen. Weder kann eine Anfechtbarkeit durch eine rückwirkende Beseitigung des Gewinnauszahlungsanspruchs begründet werden – noch wird die Anfechtbarkeit umgekehrt dadurch ausgeschlossen, dass die ursprüngliche Unwirksamkeit  des Gewinnverwendungsbeschlusses durch Zeitablauf nicht mehr geltend gemacht werden kann. Weiterhin schließt der Schutz des § 62 Abs.2 S.2 AktG eine Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO nicht aus. Das gilt auch für eine Anfechtung nach § 134 Abs.1 InsO. Es fehlt an hinreichenden An-haltspunkten für eine entsprechende Wertentscheidung des Gesetzgebers. § 62 Abs.1 S.2 AktG ist Teil eines aktienrechtlichen Regelungsgesetzes von gesell-schaftsrechtlichen Rückgewähransprüchen. In dem unberechtigte Zuwendun-gen in das Gesellschaftsvermögen zurückgeführt werden, dient der Anspruch dem im Recht der Aktiengesellschaft zentralen Grundsatz der Kapitalerhal-tung. Es handelt sich um einen spezifisch aktienrechtlichen Anspruch, der sich im Sinne der Kapitalerhaltung von anderen Ansprüchen abgrenzt, welche die Rückforderung zu Unrecht empfangener Zuwendungen grundsätzlich ermög-lichen. Vor dem Hintergrund des bezweckten Schutzes der Kapitalerhaltung ist das Gesamtgefüge der Norm zu sehen. Das gilt nicht nur für § 62 Abs.1 S.2 AktG, der den Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers über die Kapi-talerhaltung stellt. Auch die Verjährungsregelungen in § 62 Abs.3 AktG sind Gegenstand eines solchen Abwägungsvorgangs. Dies gilt letztlich auch für die von § 62 Abs.2 AktG getroffenen Regelungen über die Rechtsverfolgung durch die Gesellschaftsgläubiger. Das Insolvenzanfechtungsrecht der §§ 129 ff. InsO stellt das insolvenzrechtliche Regelungssystem zur Sicherstellung einer mög-lichst weitgehenden Gläubigerbefriedigung dar. Das Insolvenzanfechtungs-recht hat die Aufgabe, den Bestand des den Gläubiger haftenden Schuldnerver-mögens dadurch wiederherzustellen, das Vermögensverschiebungen rückgän-gig gemacht werden, die gerade in der Zeit der Krise vor der Verfahrenseröff-nung zum Nachteil der Gläubiger vorgenommen worden sind. Zur Rückgängig-machung der Wirkungen gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen und dem damit verbundenenen Eingriff in die Rechtsposition des Anfechtungsgeg-ners bedarf es eines rechtfertigenden Grundes. Ob ein solcher Grund vorliegt, beantworten §§ 129 ff. InsO. Bei unentgeltlichen Leistungen des Schuldners beschränkt § 134 Abs.1 InsO die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs, während § 143 Abs.2 InsO auf der Rechtsfolgenseite den guten Glauben des Erwerbs schützt – hob der BGH hervor.

 

Bundesgerichtshof: Keine Kostenerstattung für Dachertüchtigung wegen ab-prallenden Schnees   20.5.2023

Das Abprallen von Schnee an einem neu errichteten Gebäude stellt zwar eine Einwirkung auf das nachbarliche Grundstück dar, beeinträchtigt dies in der Regel nur unwesentlich. Eine andere Beurteilung ist – so der Bundesgerichts-hof (BGH) im Beschluss vom 14.März 2023 – Az: X ZB 4/22 – auch nicht des-halb angebracht, weil das benachbarte Dach erst wegen zusätzlichen Schnees verstärkt werden muss. Dies obliege ausschließlich dem die Anlage unterhal-tenden Grundstückseigentümer.

Eine Grundstückseigentümerin verklagte ihren Nachbarn u. a. auf Erstattung für entstandene und entstehende Kosten einer statischen Dachertüchtigung i. H. von 53 000 Euro. Ihre Liegenschaft war an der Grenze zum Nachbargrund stück mit einem eingeschossigen Tankstellengebäude bebaut.  Direkt daran an-grenzend und unmittelbar neben dem dort bereits vorhandenen Gebäude hatte der Beklagte eine mit einem Flachdach versehenes Zweifamilienhaus angebaut, welches einen halben Meter höher war als das Flachdach des Tankstellenhau-ses. Die Klägerin erklärte, ihr Dach sei nach den bekannten DIN-Normen durch den Einbau einer zusätzlichen tragenden Ebene in die Decke statisch er-tüchtigt worden, um den veränderten Schneelastanforderungen infolge des von dem Neubau abprallenden Schnees zu entsprechen. Die Klägerin verlor sowohl beim Landgericht  als beim Oberlandesgericht (OLG) Köln. Prinzipiell komme zwar ein Anspruch analog § 906 Abs.2 S.2 BGB  und nach § 823 Abs.2 BGB i. V. mit § 907 BGB für die Arbeiten an der Tankstelle infrage. Die Klägerin habe jedoch nicht dargelegt, dass das Tankstellendach  wegen des Neubaus nicht mehr den statischen Voraussetzungen entspreche. Zudem sei die Höhe des Entschädigungsanspruchs nicht hinreichend substanziiert. Ebenso wenig sei vorgetragen, dass die Statik alleine aufgrund der baulichen Maßnahmen des Beklagten zu ertüchtigen sei und nicht ohnehin einer Erneuerung oder Anpas-sung bedürfe. Auch die Revision beim BGH hatte keinen Erfolg. Der BGH (V. Zivilsenat) stimmte dem OLG zu. Selbst wenn infolge des Neubaus auf dem Grundstück des Beklagten eine statische Dachertüchtigung notwendig wäre, stünde der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung der dafür notwendigen Kosten zu. Zwar stelle das Abprallen von Schnee an einer Grenznähe wie eine von ei-ner Grenzbebauung ausgehenden Lichtreflexion  eine positive Einwirkung auf das Nachbargrundstück dar, die aber hier nur unwesentlich die Benutzung des klägerischen Grundstücks nach § 906 Abs.1 BGB beeinträchtige. Der Umstand, dass mit einer erhöhten Schneelast auf dem Tankstellendach zu rechnen sei, da der vom Gebäude des Beklagten abprallende Schnee dorthin geraten könne, schränke die Nutzung des Tankstellenbetriebs jedoch nicht unmittelbar ein. Eine andere Beurteilung sei nicht deshalb nicht angezeigt, weil das Dach nach den maßgeblichen DIN-Normen erst infolge der Grenzbebauung einer sta-tischen Ertüchtigung bedürfe. Dass die vorhandene Bebauung die statischen Vorgaben in Bezug auf die zu erwartende Schneelast nicht (mehr) erfüllt, falle auf jeden Fall dann allein in den Risikobereich der Klägerin, wenn – wie vorlie-gend – eine Beeinträchtigung allein durch physikalische Vorgänge eintrete, die auf naturgesetzlichen Wirkungen beruhten.

………………………………………………………………………………..

Abgasskandal: Verwaltungsgericht zur Rechtmäßigkeit von Software-Update bei Dieselfahrzeugen – US-Bundesstaat einigt sich mit Herstellern über Scha-densgeldzahlung

27.5.2023

Die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der O. Automobile GmbH erlassene Verpflichtung, vier Modelle der Marke O. mit Dieselmotoren mit einer optimierten Motorsteuersoftware umzurüsten, ist rechtmäßig – hat das Verwaltungsgericht Schleswig in einem erst wenige Tage alten Urteil vom 23.Mai 2023 – Az: 3 A 3/20 herausgestellt. Nach Darstellung des Verwal-tungsgerichts sind von der Maßnahme die im Jahr 2017 hergestellten Modelle Zafira 1.6 CDTi, Zafira 2.0 CDTi, Cascada 2.0 CDTi und Insignia 2.0 CDTi (Euro 6 b) von O. betroffen.

Das KBA hatte gegenüber der O. Automobile GmbH mit Bescheid vom 17.Ok-tober 2018 als nachträgliche Nebenbestimmung zu den entscheidenden Typen-genehmigungen angeordnet, die Vorschriftsmäßigkeit der schon im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu schaffen, in dem alle unzulässigen Abschaltein-richtungen beseitigt werden. Die O. Automobile GmbH wurde dazu verpflich-tet, ein vom KBA erlaubtes Software-Update bei allen betroffenen Fahrzeugen aufzuspielen. Der Hersteller hatte vorher mit einer freiwilligen Umrüstung begonnen, um die Werte der Stickoxid-Emissionen der Fahrzeuge zu verbes-sern. Nachdem eine Untersuchung des Bundesamtes  die vorliegende Vermu-tung untermauert hatte, das in der ursprünglichen Software der Motorsteue-rung unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet wurden, hielt das KBA eine freiwillige Rückrufaktion nicht mehr für ausreichend. Das Verwaltungsgericht hält den vom Hersteller angegriffenen Beschluss für rechtmäßig. Die Anord-nung zur Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung und zur Ausstat-tung der betroffenen Dieselfahrzeuge mit der verbesserten Motorsteuersoft-ware sei unumgänglich. In den benannten Fahrzeugtypen von O. seien u. a. wegen des Einsatzes sog. Thermofenster bei der Abgasrückführung und der Steuerung des SCR-Katalysators unzulässige Abschalteinrichtungen eingesetzt. Mit Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) dürfte eine Abschalteinrichtung nur im Ausnahmefall erlaubt werden, falls diese zur Verhinderung einer großen Gefahr für den Motor und den siche-ren Fahrzeugbetrieb gebraucht werde. Diese Anforderungen sah das Gericht hier nicht als erfüllt an. In Anbetracht der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das Verwaltungsgericht Schleswig gegen das Urteil vom 23.Mai 2023 – Az: 3 A 3/20 die Berufung zum Schleswig-Holsteinischen Ober-verwaltungsgericht und die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Schlechte Nachrichten kommen für den V.-Konzern und seine Tochtergesell-schaft A. aus den USA bzw. aus dem dortigen Bundesstaat Texas. Im Zuge der rechtlichen Klärung des Abgasskandals haben sich die V. AG und die A. AG mit dem US-Bundesstaat Texas auf eine Schadensgeldzahlung i. H. v. 85 Millionen Dollar geeignigt. Der texanische Generalstaatsanwalt K. Paxton erklärte, dass die Autounternehmen der Zahlung grundsätzlich zugestimmt hätten. Paxton kritisierte den Verstoß gegen texanische Gesetze, eine Gefährdung der texa-nischen Einwohner und eine Verschmutzung der Umwelt, für die V. und A. verantwortlich seien. Am Monatsanfang hatte der Oberste Gerichtshof von Texas entschieden, dass die Umweltklage des Bundesstaates gegen V. und A. fortgesetzt werden kann. Die V. AG lehnte eine Stellungnahme zu diesem Sachverhalt ab.

Fortsetzung folgt.

Quellen: Gitta Kharraz (Redaktion beck-aktuell), Verpflichtung zu Software-Update bei Opel-Pkw rechtens, rsw.beck.de  24.Mai 2023. FAZ/Reuters, Texas verlangt Strafe von VW und Audi, Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.Mai 2023, S.22.

 

Bundesfinanzhof: Erbschaftsrente führt nicht zur Minderung von Kindergeld

24.5.2023

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit am 11.Mai 2023 veröffentlichten Urteil vom 16.Februar 2023 – Az: III R 23/22 erörtert, dass Eltern behinderter Kinder den Kindergeldanspruch nicht verlieren, selbst wenn diese Kinder eine aus einer Erbschaft finanzierte Privatrente erhalten.

Ein 62-jähriger Herr, der seit 1980 aufgrund einer psychischen Erkrankung behindert ist und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, erbt von seiner Mutter (+ 2016) rd. 380 000 Euro. Durch eigenes Vermögen stockt er den Betrag auf und zahlte 400 000 Euro in eine private Rentenversicherung ein, dadurch erhält er monatlich 1 060 Euro. Die Familienkasse stellte deshalb die Kindergeldzahlung an seinen Vater ein. Begründet wird dies damit, dass der Sohn ausreichend Einkünfte für seinen Lebensunterhalt habe. Das Urteil des BFH bestätigt die Position des Finanzgerichts Stuttgart – Urteil vom 14.April 2022 – Az: 1 K 2137/21. Lediglich der Ertragsanteil der Rentenzahlungen – im Grunde die Zinsen, die der Versicherer mit dem eingezahlten Kapital generiert – ist als Einkommen anzusehen. Der monatliche Bedarf des behinderten Soh-nes von 990 Euro stehen nur Einkünfte von insgesamt 510 Euro gegenüber, was für den Lebensunterhalt nicht ausreicht. Der BFH verweist darauf, dass nur einkommensteuerpflichtige Einkünfte von Bedeutung sind. Eine Erbschaft unterliegt nicht der Einkommensteuer und stellt für das volljährige Kind Ver-mögen dar. Die Einzahlung der Erbschaft in eine private Rentenversicherung ist daher nur eine „Vermögensumschichtung.“

Quelle: JuraForum.de-Redaktion, Erbschaftsrente schmälert Kindergeld nicht: BFH -Urteil schockiert Familienkasse, www.juraforum.de  14.05.2023, 11:52

 

Amtsgericht zu Mietminderung wegen mangelnder Warmwasserversorgung

21.5.2023

Im Regelfall ist eine Warmwasserversorgung rund um die Uhr geschuldet. Wird dies nicht ausreichend gewährleistet, kommt eine Mietminderung in Be-tracht. Dies hat das Amtsgericht (AG) Brandenburg an der Havel mit Urteil vom 13.Februar 2023 – Az: 31 C 210/21 zu verstehen gegeben.

Das AG Brandenburg a. d. H. hatte zu entscheiden, ob den Mietern einer Woh-nung wegen mangelnder Wärmeversorgung ein Recht zur Mietminderung zu-steht. Ein Sachverständiger hatte festgestellt, dass das warme Wasser nach dem Vorlauf von ca. 23,3 Litern nach ca. 50  Sekunden eine Temperatur von ca. 40 ° C, nach dem Vorlauf von ca. 28 Litern nach ca. 60 Sekunden eine Tem-peratur von ca. 42 ° C und erst nach ca. 230 Sekunden eine Temperatur von 50,6 ° C  – jedoch im Übrigen keine 55 ° C aufwies. Das Gericht erklärte, dass die Messwerte eine Minderung der Bruttomiete um 5 Prozent rechtfertige. Eine Warmwasserversorgung rund um die Uhr  zähle in der Regel zur Gebrauchs-tauglichkeit einer Mietwohnung.

 

Landgericht: Geltendmachung von fiktivem Schadensersatz im Wohnraum-mietrecht zulässig       21.5.2023

Trotz Weiterveräußerung der Wohnung ohne vorherige Beseitigung der Schä-den steht dem Vermieter ein Schadensersatzanspruch zu. Ein Vermieter kann wegen Schäden an der Mietwohnung auch dann Schadensersatz fordern, falls er die Wohnung ohne Beseitigung der Schäden weiterveräußert. Die Geltend-machung von fiktivem Schadensersatz ist im Wohnraummietrecht zulässig. Landgericht Halle/Saale Urteil vom 3.Februar 2023 – Az: 1 S 91/21

Nach der Bereinigung des Mietverhältnisses über eine Wohnung im mittel-deutschen H. im Dezember 2016 waren sich die Mietvertragsparteien über die Zahlung von Schadensersatz wegen Schäden an der Mietsache uneinig. Der Vermieter klagte nunmehr auf Zahlung von über 14 000 Euro. Zwischenzeit-lich hatte er jedoch die Wohnung weiterverkauft, ohne die Schäden zu entfer-nen. Das Amtsgericht Halle wies die Klage aufgrund dessen ab. Auf Seiten des Vermieters erkannte es keinen Vermögensverlust. Dagegen richtete sich die Berufung des Vermieters vor dem Landgericht (LG). Das LG entschied, dass der Vermieter fiktiven Schadensersatz geltend machen könne. § 249 BGB räume dem Geschädigten die Wahlmöglichkeit ein zwischen der in Abs.1 vor-gesehenen Naturalrestitution und dem in Abs.2 geregelten Zahlungsanspruch auf den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache notwendigen Geldbe-trag. Der Geschädigte dürfe seine Ersetzungsbefugnis ohne Angabe von Grün-den ausüben, müsse sich für die getroffene Wahl nicht rechtfertigen und sich auch sonst zu ihrer Umsetzung nicht mit dem Schädiger in Verbindung setzen. Für die Geltendmachung des fiktiven Schadensersatzes sei es von Relevanz, dass der Vermieter  die Wohnung ohne Beseitigung der Schäden verkauft hat. Der Geschädigte sei nicht gehindert, auch den fiktiven Anspruch abzurechnen, wenn er tatsächlich nicht repariert, sondern in der Zwischenzeit weiterver-äußert. Die Instandsetzungskosten könne sich der Geschädigte auszahlen las-sen. Es komme nicht darauf an, ob der Geschädigte  vor der Veräußerung we-nigstens schon eine Abrechnung auf Reparaturbasis gefordert hat. Der Scha-densersatzanspruch beschränke sich also auf einen durch Schäden bedingten Minderungserlös.

 

ES   FOLGEN   WEITERE   BERICHTE   ÜBER  URTEILE   DER

INSTANZENGERICHTE

Oberlandesgericht über Wechselbezüglickeit einer Erbeinsetzung bei An-wachsung

23.5.2023

Ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil kann insgesamt eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhenden Erbeinsetzung dar-stellen. Ob und in welchem Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich ver-größernder Erbteil als eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhen-den Erbeinsetzung anzusehen ist, welche für den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist jedoch zwischen Literatur und Rechtsprechung umstritten – erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main im Beschluss vom 6.April 2023 – Az: 21 W 3/23.

Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin, der Beteiligte zu 2) der Sohn des Beteiligten zu 1). Der andere Sohn des Beteiligten zu 1), der kinderlose X, ist im Jahr 2016 verstorben und wurde von den Beteiligten zu 1) und 2) beerbt. Die Erblasserin war seit 2015 verwitwet. Sie hatte mit ihrem Ehemann 2004 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem Testament hatten die Ehegatten unter § 1 und § 2 jeweils identische Erbeinsetzungen vorgenom-men, indem sie den anderen Ehegatten, den Beteiligten zu 1), und die beiden Enkel anteilig zu ihren Erben einsetzten und Teilungsanordnungen trafen. In § 3 wurde Testamentsvollstreckung angeordnet und der Beteiligte zu 1) zum Testamentsvollstrecker ernannt. Diesem wurde zur Auflage gemacht, dass der aufgebaute Betrieb und das Betriebsgrundstück in Familienbesitz bleiben sollte. In § 4 wurden für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Beteiligten zu 1) als Erbe zu 1/2 und der Beteiligte zu 2) sowie dessen Bruder als Erben zu jeweils 1/4 bestimmt. Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 15.September 2015 ein handschriftliches Testament, in dem sie den Betei-ligten zu 1) zu ihrem Alleinerben einsetzte. Der Beteiligte zu 1) beantragte am 19.Mai  2022 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweisen sollte. Dabei hat er u. a. ausgeführt, das Verhältnis der Erblasserin zu ihren Enkeln sei problematisch gewesen. Das Nachlassgericht hat den Erbscheins-antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erbeinsetzun-gen in dem gemeinschaftlichen Testament seien wechselbezüglich, so dass die Erblasserin an dieses gebunden wäre und nicht abweichend hätte testieren können. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.  Der Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Die Erblasserin hatte den Beteiligten zu 2) in dem gemeinschaft-lichen Testament vom 12.Januar 2004 in § 2 b) als Miterben eingesetzt. Daran war sie gem. § 2271 Abs.2 S.1 BGB gebunden, so dass ihre Verfügung in dem späteren Testament, soweit sie die Miterbeneinsetzung des Beteiligten zu 2) aufheben würde, entsprechend § 2289 BGB unwirksam blieb. Das gemein-schaftliche Testament aus dem Jahr 2004 enthielt eine abschließende Rege-lung der Erbfolge nach den testierenden Ehegatten für deren beider Todesfälle und nicht lediglich eine Regelung für den Fall des Erstversterbens. Dies ergab die Testamentsauslegung. Dabei war gem. § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung zu bevorzugen, bei welcher  die Verfügung Erfolg haben kann, wenn der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zulässt. Der Umstand, dass es sich bei einem gemeinschaftlichen Testament um eine nota-rielle Urkunde handelt, stand der Auslegung nicht entgegen. Unter Beachtung dieser Grundsätze war das gemeinschaftliche Testament dahingehend auszu-legen, dass die Ehegatten mit der jeweiligen Erbeinsetzung nach §§ 1 und 2 ih-rer Erbfolge abschließend regeln wollten und dies unabhägig davon, wer von ihnen als erster  und wer als zweiter versterben sollte. Dabei war die Erbfolge darauf gerichtet, dass das überwiegend gemeinschaftliche Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn und die Enkel übergehen sollte. Es handelt sich vorliegend nicht um den öfters anzutreffenden Fall eines sog. Ber-liner Testaments. Vielmehr hatten die Ehepartner schon beim ersten Erbfall eine anteilige Einbeziehung ihrer gesetzlichen Erben vorgesehen. Es ging des-halb nicht um die Frage, ob die Ehegatten in dem Testament etwa stillschwei-gende Schlusserben eingesetzt hätten. Infolgedessen kam es den Ehegatten darauf an, dass das Betriebsgrundstück in einer Hand vereinigt werde und der Betrieb in Familienbesitz verbleiben sollte. Daher war der gemeinsame Wille klar darauf gerichtet, dass mit dem Testament die Zusammenführung des je-weiligen, insbesondere des überwiegend im hälftigen Miteigentum stehenden Grundbesitzes nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn auch auf die Enkel als Erbengemeinschaft übergehen sollte. Nach Meinung des Gerichts hat der Beteiligte zu 2) außerdem an der Anwachsung der Erbteile seines ver-storbenen Bruders und Großvaters teilgenommen. An die sich aus der An-wachsung ergebenden Vergrößerungen des Erbteils war die Erblasserin auch gebunden. Ob und in welchen Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich ver-größernder als eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erb-einsetzung anzusehen ist, welche für den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist in Literatur und Recht-sprechung  umstritten. Dies gilt gerade für die Frage, ob in diesem Fall die Wechselbezüglichkeit durch angesichts der Vorschrift in § 2270 Abs.2 BGB vermutet werden kann. Wegen der für den Erbteil des vorverstorbenen Ehe-gatten im Testament angelegten Erhöhung des Erbteils durch Anwachsung ist die Wechselbezüglichkeit schon aufgrund individueller Auslegung anzuneh-men. Ausgehend von der herrschenden Meinung, der sich das Gericht ange-schließt, wird der durch Anwachsung vergrößerte Erbteil auf jeden Fall von der Wechselbezüglichkeit erfasst, wenn diese nicht ausschließlich aufgrund des § 2094 BGB eintritt. Hier beruhte die Zuweisung des Erbteils des vorverstor-benen Ehegatten schon nicht allein auf der gesetzlichen Regelung in § 2094 BGB, sondern auf dem in dem Testament hinreichend zum Ausdruck gebrach-ten Willen der Ehegatten. Davon ausgehend ergab schon die individuelle Aus-legung, dass die Ehegatten für diesen Fall auch die Wechselbezüglichkeit die-ser sich mit einer erhöhten Erbquote ergebenden Erbeinsetzung gewollt hat-ten, wofür wiederum die Regelung in § 3 herangezogen werden konnte. Den Ehegatten kam es erkennbar darauf an, ihr gemeinschaftliches Vermögen zu-sammenzuführen und im Ergebnis dem Sohn und Enkel zukommen zu lassen.  Eine deutliche Besserstellung sollte dabei dem Sohn nach den Regelungen in §§ 1, 2 – aber auch unter Beachtung des § 4 – schon nicht zukommen.

:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Landesarbeitsgericht: Städtischer Mitarbeiter nicht auf Dauer und bezahlt freigestellt

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

22.5.2023

Die Klage eines städtischen Mitarbeiters in der Grünpflege auf Feststellung, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Ver-gütung freigestellt worden sei, bleibt auch in zweiter Instanz ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 2.Mai 2023 – Az: 8Sa 594/22 nach Widerruf des zuvor geschlossenen Ver-gleichs zurückgewiesen. Die behauptete Erklärung habe er nicht beweisen kön-nen – so das LAG.

Der Kläger war seit 1994 im Bereich der Grünfläche der Beklagten/Stadt tätig. Dieser war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tarifvertrag-lich ordentlich unkündbar. Zuletzt verdiente er monatlich 3 200 brutto. Eine Abordnung zum Ordnungsamt folgte im Jahr 2015. Mit einstweiligem Verfü-gungsverfahren erreichte der Kläger, dass die Beendigung der Abordnung Ende 2015 unter der Voraussetzung einer vertrauensärztlichen Untersuchung nicht erfolgte. Die Stadt teilte dem Kläger daraufhin mit, dass, sofern der Klä-ger seine Arbeitskraft nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit anbiete, die-se bis auf Widerruf nicht angenommen werde, insbesondere nicht vor dem Vorliegen des amtsärztlichen Untersuchungsergebnisses. Es werde auf das per-sönliche Anbieten der Arbeitsleistung verzichtet und der Arbeitswille unter-stellt. Gleichzeitig erfolgte die Zahlung von Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns. Ein Versetzungsantrag des Klägers an das Ord-nungsamt scheiterte. Mit Schreiben vom 27.November 2017 bat die Stadt dem  Kläger eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straße und Verkehr an. Trotz eini-ger Versuche kam es zu keiner Unterredung zwischen dem Kläger und der Stadt. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Essen erklärte die Stadt erneut, dass eine Tätigkeit im Sachgebiet Straße und Verkehr für den Kläger gegeben sei. Das Verfahren wurde ruhend gestellt und ein Termin zum Kennenlernen seitens des Klägers wahrgenom-men. Dieser verlief ergebnislos. Nach der Vorstellung des Klägers im Musueum Zeche Z. im Frühjahr 2018 kam es dort zu keiner Einstellung. Seit dieser Zeit ist der Kläger ohne Beschäftigung. Die vereinbarte Vergütung erhielt er nach wie vor. Anfang 2022 wurde der Kläger von der Stadt aufgefordert, ins Rathaus zu kommen, um über seine weitere Tätigkeit zu sprechen. Zu einer einver-nehmlichen Lösung kam es dabei nicht. Der Kläger begehrte mit seiner Klage vom 20.April 2022 die Feststellung, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Vergütung freigestellt worden sei. Der für ihn zu-ständige Sachgebietsleiter habe dies schon im Februar 2018 erklärt. Ausdrück-lich habe er nachgefragt, wie lange dies dauern solle . Daraufhin habe der Sachgebietsleiter geantwortet, dass dies dauerhaft und unwiderruflich sei. Er brauche keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr zu führen. Dem widersprach die Stadt. Diese Zusage habe es nicht gegeben. Der Sachgebiets-leiter sei dazu nicht befugt gewesen. Personalgespräche würden bei der Stadt arbeitgeberseitig grundsätzlich durch zwei Personen geführt. Das ArbG wies die Klage ab. Die Absicht einer dauerhaften unwiderruflichen Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung habe der Kläger nach Vernehmung einer Zeugin, einer Bekannten des Klägers, und eines Zeugen des Sachgebietsleiters, nicht beweisen können. Nachdem der Kläger den im ersten Kammertermin vor dem LAG in der Sache abgeschlossenen Vergleich fristgerecht widerrufen hat, be-stätigte das LAG die Position des ArbG. Die Beweiswürdigung durch das ArbG sei nicht zu beanstanden. Außerdem sei die behauptete Erklärung nach dem jetzt ergangenen Urteil bei Würdigung aller Umstände ohnehin nicht i. S. einer Freistellung zu erfassen gewesen, die tatsächlich unwiderruflich war. Auch fehle es an der erforderlichen Vollmacht des Sachgebietsleiters zu der vom Kläger behaupteten Erkärung – ergänzte das LAG.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Revision gegen das Urteil vom 2.Mai 2023 – Az: 8Sa 594/22 nicht zugelassen.

::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

Reiserecht………..Außergewöhnliche Umstände………………………..

Europäischer Gerichtshof zu Ausgleichspflicht für Flugannullierung nach unerwartetem Tod des Kopiloten

23.5.2023

Die Annullierung eines Fluges wegen plötzlichen Todes des Kopiloten befreit die Airline nicht von der Ausgleichspflicht gegenüber den Fluggästen. Ein solcher Fall stelle keinen „außergewöhnlichen Umstand“ dar, sondern sei – wie jede unerwartete Krankkeit eines unverzichtbaren Besatzungsmitglieds – Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens – betonte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 11.Mai 2023 – Az: C-156/22.

Ein Linienflug vom deutschen S. in das portugiesische L. wurde annulliert, da der Kopilot der Maschine zwei Stunden vor dem Abflug tot in seinem Hotel-zimmer aufgefunden wurde. Die restliche Besatzung meldete sich infolge des erlittenen Schocks fluguntauglich. Die Passagiere wurde später mit einem an-gesetzten Ersatzflug an ihr Ziel gebracht. Aus abgetretenem Recht wurde die Zahlung einer Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung geltend gemacht. Die Airline lehnte die Zahlung ab und bezog sich auf „außergewöhn-liche Umstände.“ Das mit der reiserechtlichen Sache befasste Landgericht Stuttgart ersuchte den EuGH um Klärung. Der EuGH bejahte eine Ausgleichs-pflicht der beklagten Airline gegenüber den Fluggästen. Die Flugannullierung beruhe nicht auf „außergewöhnlichen Umständen.“ Die Abwesenheit eines oder mehrerer für die Durchführung eines Fluges unverzichtbaren Mitarbeite-rinnen/Mitarbeiter zähle zur normalen Tätigkeit  des ausführenden Luftfahrt-unternehmens und falle damit nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände.“ Bei der Abwesenheit könne nicht nach den Ursachen entschieden werden, sodass es nicht darauf ankomme, ob ein Flug nicht stattfinde, da ein Besatzungsmitglied kurz vor dem Abflug unerwartet erkrankt oder verstorben sei.

 

Oberlandesgericht zu Eintragung einer Erbengmeinschaft in Grundbuch bei Tod Gesellschafter einer GbR

25.5.2023

Entsprechend den gesetzlichen Vorschriften des BGB erlischt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) im Falle der Kündigung (§ 723 BGB) und des Todes eines Gesellschafters (§ 727 BGB) nicht, sondern wandelt sich zwecks Auflö-sung identitätswahrend in eine Abwicklungsgesellschaft um; an die Stelle des verstorbenen Gesellschafters treten seine Erben. Eine Anwachsung des Ge-sellschaftsvermögens beim verbliebenen Gesellschafter gibt es nur, falls der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Fortsetzungsklausel oder ein Ein-trittsrecht enthält – laut Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Rostock vom 3.Mai 2023 – Az: 3 W 13/23.

Die T-GbR ist seit 2015 als Eigentümer mehrerer Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Der Gesellschafter M kündigt am 27.September 2019 die Gesell-schaft. Der weitere Gesellschafter B verstarb am 29.November 2019 und wurde von seinen fünf Kindern, den Antragstellern, beerbt. Diese haben am 31.März/6.April 2021 eine Berichtigung des Grundbuchs dahingehend bean-tragt, dass sie statt des verstorbenen B als Gesellschafter der T-GbR eingetra-gen werden. Sie bezogen sich darauf, dass die T-GbR als Abwicklungsgesell-schaft weiter bestehen und durch die Erbengemeinschaft vertreten werde.  Im nur mündlich abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag der T-GbR seien keine Re-gelungen für das Ausscheiden eines Gesellschafters festgelegt worden. Die Erb-nachfolge im Gesellschafterbestand unterliege auch nicht der Grunderwerb-steuer. Der Gesellschafter M hat die Grundstücke am 18.Mai 2021 an eine N. und H. Wohnungswirtschaft verkauft. Im notariellen Grundstückskaufvertrag hat er an Eides statt versichert, dass für das Gesellschaftsverhältnis der T-GbR keine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichenden Vereinbarungen ge-troffen worden seien. Da im Grundstückskaufvertrag jedoch sinngemäß davon ausgegangen wurde, dass der Gesellschaftsanteil des B dem M angewachsen wäre, prüfte das Finanzamt die Zahlung von Grunderwerbsteuer. Die Erben-gemeinschaft hat den Grundstückskaufvertrag nicht genehmigt, so dass dieser nicht vollzogen wurde. Das Grundbuchamt hat den Berichtigungsantrag zu-rückgewiesen. Danach sei der Unrichtigkeitsnachweis mangels Vorlage des Gesellschaftsvertrags nicht in der Form des § 29 Grundbuchordnung (GBO) geführt worden und eine Berichtigung könne ansonsten nur aufgrund Berich-tigungsbewilligung erfolgen. Weiterhin fehle die notwendige Unbedenklich-keitsbescheinigung des Finanzamtes. Im Beschwerdeverfahren haben die Er-ben notariell beglaubigte Erklärungen vorgelegt, dass nach der Kenntnis kein schriftlicher Gesellschaftsvertrag der T-GbR geschlossen und keine besondere Vereinbarung für den Kündigungs- oder Todesfall getroffen worden sei. Das OLG hat den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und das Grundbuchamt angewiesen, die Antragsteller statt des verstorbenen B als Gesellschafter ein-zutragen. Die Antragsteller haben die Unrichtigkeit des Grundbuchs dahin-gehend ausreichend nachgewiesen, dass sie statt des verstorbenen B Gesell-schafter der T-GbR sind. Nach den gesetzlichen Regelungen des BGB erlischt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Kündigungsfalle (§ 723 BGB) und des Todes eines Gesellschafters (§ 727 BGB) nicht, sondern wandelt sich zwecks Auflösung identitätswahrend in eine Abwicklungsgesellschaft um; an die Stelle des verstorbenen Gesellschafters treten seine Erben. Eine Anwachsung des Ge-sellschaftsvermögens beim verbliebenen Gesellschafter findet nur statt, wenn der Gesellschaftsvertrag eine entsprechende Fortsetzungsklausel oder ein Ein-trittsrecht enthält. Zum Nachweis der Rechtsnachfolge des Erben in die Gesell-schafterstellung des Erblassers reicht es beim Fehlen eines schriftlichen Gesell-schaftsvertrags aus, wenn eine Erklärung des verbliebenen Gesellschafters in der Form des § 29 GBO beigebracht wird, wonach ein schriftlicher Gesell-schaftsvertrag nicht besteht und besondere Vereinbarungen für den Kündi-gungs- und Todesfall nicht getroffen wurden, und wenn die Erben auch in der Form des § 29 GBO erklären, dass ihnen ein entsprechender abweichender Inhalt des Gesellschaftsvertrags nicht bekannt sei. Hier hat der Antragsgegner als verbliebener Gesellschafter im Grundstückskaufvertrag vom 18.Mai 2021 an Eides statt versichert, dass für das Gesellschaftsverhältnis der T-GbR keine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende Vereinbarungen getroffen worden waren. Einen schriftlichen Gesellschaftsvertrag hat er trotz Auffor-derung nicht eingereicht. Die Antragsteller als Erben des verstorbenen Gesell-schafters B haben in der Form des § 29 GBO erklärt, dass nach ihrer Kenntnis kein schriftlicher Gesellschaftsvertrag der T-GbR geschlossen und keine beson-dere Vereinbarung für den Kündigungs- oder Todesfall getroffen worden sei. Nach alledem ist der Unrichtigkeitsnachweis hier somit geführt worden – er-klärte das OLG.

………………………………………………………………………………………..

Landgericht: Versicherer muss nach Feuer im Restaurant nicht zahlen

27.5.2023

Eine Versicherungsnehmerin verletzt vorsätzlich ihre Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Schadensfalls, wenn sie nach einem Brand im Restaurant nicht umgehend sämtliche (zulässige) Fragen ihres Versicherers beantwortet – äußerte das Landgericht (LG) Osnabrück im Urteil vom 24.Mai 2023 – Az: 9 0 3254/21. Die Klage der Insolvenzverwalterin der Betreiberin des Restaurants gegen den Versicherer auf Leistung aus der bestehenden Sachversichereung hielt die Kammer des LG für unbegründet.

Am 15.Januar 2018 wurde durch das Feuer die Inneneinrichtung des Restau-rants schwer beschädigt. Der Schaden wurde durch einen von der Versiche-rungsnehmerin beauftragten Sachverständigen mit ca. 640 000 Euro ange-geben. Der Verdacht kam auf, dass der Brand vorsätzlich gelegt worden sei. In einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Osnabrück wurde ein Dritter, der der Brandlegung verdächtigt wurde, jedoch freigesprochen. Die Versicherungs-nehmerin zeigte gegenüber  ihrem Versicherer den Vorfall unmittelbar an, welcher ihr mit Schreiben vom 6.März 2018 zur weiteren Bearbeitung des Vorgangs einen Katalog mit 20 Fragen zuschickte. Ein Anwalt beantwortete mit Schreiben vom 1.August 2018 die Fragen des Versicherers. Nach Meinung des Versicherers seien die Fragen zum Teil nicht oder zum Teil nicht vollstän-dig beantwortet worden, daher setzte er seiner Versicherungsnehmerin eine Frist zur ergänzenden Beantwortung. Der Versicherer verwies auf die Regelung in § 28 Abs.2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), wonach eine Leistungskür-zung oder eine Ablehnung der Einstandspflicht möglich sei, wenn der Ver-sicherungsnehmer seine Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Schadensfalls nicht folgt. Eine weitergehende Beantwortung zur Aufklärung des Schadens-falls erfolgte trotzdem nicht. Unter dem 21.November 2018 wurde die Deckung des Schadens von dem Versicherer abgelehnt. Das LG Osnabrück hat erklärt, dass die Versicherungsnehmerin ihren Mitwirkungspflichten nicht nachge-kommen sei. Sie habe nicht umgehend die zulässigen Fragen ihres Versiche-rers beantwortet. Fragen an den Versicherungsnehmer seien zulässig, wenn die Beantwortung sich tatsächlich für die Einschätzung des Versicherers, ob eine Einstandspflicht bestehe, von Belang sein könnte. Nicht notwendig sei, dass die Beantwortung sich tatsächlich als wesentlich erweise. Auch habe die Ver-sicherungsnehmerin Angaben zu machen, durch die sie sich selber belasten könnte. Der im Strafrecht geltende Grundsatz „nemo tenetur“, wonach sich niemand selbst zu belasten brauchte, hat im Verhältnis zwischen Versiche-rungsnehmer und Versicherer keine Geltung. Die Versicherungsnehmerin habe auch mit Vorsatz gehandelt – so das LG -, weil sie angesichts der Nachfrage des Versicherers erkennbar gewesen sei, dass die von ihrer Bevollmächtigten er-teilten Auskünfte im Jahr 2018 nicht ausreichend gewesen seien. Außerdem sei zu beachten, dass die Versicherungsnehmerin nach der Aufforderung durch den Versicherer, die Fragen ergänzend zu bearbeiten, zusätzlich drei Monate Zeit gehabt habe, dieser Aufforderung nachzukommen. Dieser Zeitkorridor lasse nur den Rückschluss zu, dass die Versicherungsnehmerin die Fragen nicht vollständig bzw. nicht richtig beantworten wollte. Der Versicherungs-nehmerin sei auch bekannt gewesen und sie habe es auch gewollt, dass die fehlende bzw. unzureichende Beantwortung der Fragen Einfluss auf die Fest-stellung des Versicherungsfalls bzw. den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers habe oder haben könnte. Dabei sei nach Ansicht der Kammer des LG zu berücksichtigen, dass der Verdacht der vorsätzlichen Brandlegung im Raum gestanden habe und auch gegen eine Person im näheren Umfeld der Versicherungsnehmerin ermittelt worden sei. Die Versicherungsnehmerin habe durch die unzureichende Beantwortung des Fragenkatalogs versucht, den Verlust ihres Leistungsanspruchs zu minimieren. Ob die Verletzung der Mit-wirkungspflicht für die Einstandspflicht bzw. den Umfang des Schadensfalls ursächlich sei, könne aus diesem Grund offenbleiben.

Das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 24.Mai 2023 – Az: 9 0 3254/21 ist noch nicht rechtskräftig.

 

Oberlandesgericht über Gefährdungshaftung bei Massenkollisionen

24.5.2023

Die Gefährdungshaftung für ein Auto erfasst auch Fälle, in denen das Fahrzeug nur „passiv“ in einen Verkehrsunfall geraten ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat im Urteil vom 10.Mai 2023 – Az: 14 U 56/21 festgestellt, dass die Haftpflichtversicherung eines Fahrzeugs, gegen das ein anderes Auto nach einer Erstkollision geschleudert wurde, auch für daraus entstandene Schäden zu haften hat. Der Schutzzweck des § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sei sehr weit gefasst, da die Haftung der Preis dafür sei, eine Gefahrenquelle zu eröff-nen.

Auf der A 20 staute sich der Verkehr, weshalb der Versicherungsnehmer der Beklagten beim Heranfahren auf der rechten Fahrspur langsamer wurde. Auch das folgende Fahrzeug passte sich der geringeren Geschwindigkeit an. In die-sem Wagen befanden sich außer der Fahrerin noch zwei Kinder und deren Großmutter. Von hinten näherte sich eine unter Alkoholeinfluß stehende Auto-fahrerin mit ihrem Gefährt auf der linken Fahrspur mit hoher Geschwindig-keit. Plötzlich wechselte sie die Fahrspur mit Tempo 120 und stieß gegen das vollbesetzte Fahrzeug. Durch die Wucht des Zusammenstoßes wurde es auf das voranfahrende Fahrzeug geschleudert. Die Großmutter und das Kind starben, der zehnjährige Kläger wurde schwer verletzt und wird aller Voraussicht nach der Pflege bedürfen. Der Kläger hatte erstinstanzlich vor dem Landgericht (LG) Hannover die Feststellung beantragt, dass auch die beklagte Haftpflichtver-sicherung des vorgangefahrenen Fahrzeugs gesamtschuldnerisch für die Schä-den hafte. Während die Kammer des LG Hannover die Klage zurückwies, war der Kläger vor dem OLG Celle größtenteils erfolgreich. Der Halter eines Fahr-zeugs haftet nach § 7 Abs.1 StVG für Schäden, die beim Betrieb des Wagens entstanden seien. Ausgenommen seien nach Abs.2 nur solche Schäden, die auf höhere Gewalt zurückzuführen sind. Diese Ausnahmen verneinte der OLG-Senat, da höhere Gewalt eine Einwirkung von außen erfordert, hier habe sich jedoch gerade das typische Risiko des Autobahnverkehrs durch einen Ver-kehrsteilnehmer verwirklicht. Auch gebe es keine Sabotage oder einen Akt der Selbsttötung, den man als verkehrsfremden Eingriff einordnen könnte, son-dern schlicht ein Unfall. Ob der Fahrer den Unfall hätte vermeiden können oder nicht, spiele angesichts des fehlenden Eingriffs von außen keine Rolle. Obwohl das Fahrzeug nur als  bloßes Hindernis am Unfall beteiligt war, haftet dessen Halter nach Meinung des OLG gesamtschuldnerisch  für die Verletzung des Klägers. Der Schutzzweck des § 7 StVG sei weit gefasst, da die Haftung der Preis dafür sei, eine Gefahrenquelle zu schaffen. Daher reiche allein der Fahr-zeugbetrieb – ein Fahrfehler – so das OLG sei nicht erforderlich. Die Ersatz-pflicht trete ein, sobald das Fahrzeug das Unfallgeschehen mit beeinflusse und der Schaden dem Betrieb zugerechnet werden könne. Das sei hier der Fall, denn der Wagen befinde sich auf der Autobahn und bewegte sich dort im Fluss, als der Unfall geschah. Er könne nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Unfall passiert wäre. Das OLG hob hervor, es gebe bei der Herstellerhaf-tung nicht um den Ausgleich von Verhaltensunrecht, sondern um eine erfolgs-bezogene Haftung. Laut den Feststellungen des OLG Celle waren die lebens-gefährlichen Verletzungen bei der zweiten Kollision mit dem Vordermann ent-standen.

 

 

 

ES   FOLGEN   WEITERE   BERICHTE   ÜBER   URTEILE   DER

INSTANZENGERICHTE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bundesgerichtshof zu Identifizierbarkeit des angegriffenen Urteils

20.5.2023

Ein falsches Aktenzeichen und ein unzutreffendes Verkündungsdatum stehen einer zulässigen Berufung nicht zwingend entgegen. Entscheidend ist aus der Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH), dass das angegriffene Urteil klar erkenn-bar ist. Dies war hier der Fall, da die Parteien beim Landgericht (LG) nur ein Verfahren gegeneinander geführt haben, in dem ein Urteil ergangen war. Bun-desgerichtshof Beschluss vom 14.März 2023 – Az: X ZB 4/22

Eine Person hatte sich gegen den Zwang gewehrt, sich bei Nutzung und Ange-boten der DB-Vertriebsgesellschaft als Mann oder Frau einzustufen. Sie wolle auch in Anschreiben und auf Fahrkarten nicht so angesprochen werden. Das LG Frankfurt a. M. gab ihr Recht. Bei Einlegung der Berufung durch das Un-ternehmen kam es zu Problemen. Das Aktenzeichen (Az) wurde falsch wieder-gegeben und das Verkündungs- und Zustellungsdatum traf nicht zu. Da auch keine Kopie des Urteils mitgeschickt worden war, erfuhr das Oberlandesge-richt (OLG) Frankfurt a. M. dies erst, als die Vorinstanz  die angeforderte Ent-scheidung nicht schicken konnte. Auf Rückfrage teilte der Vertreter der Ver-triebsgesellschaft am nächsten Tag das richtige Aktenzeichen mit. Zwischen-zeitlich war die Einlegungsfrist schon abgelaufen. Das OLG verwarf die Beru-fung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde war beim BGH erfolgreich. Die Be-rufungsschrift entsprach aus Sicht des BGH nicht den üblichen Voraussetzun-gen. Trotzdem sei durch die Verletzung der Anspruch auf effektiven Rechts-schutz verletzt worden. Sofern aufgrund der Gesamtumstände und Gegner für das Gericht klar sei, welches Verfahren und gegen welche Entscheidung sich das Rechtsmittel richtet, führt dies nicht zur Unzulässigkeit. Der BGH, X. Zi-vilsenat, verwies darauf, dass hier zwischen den Parteien bei dem LG Frankfurt a. M. nur ein Urteil ergangen war – was damit nicht eindeutig identifizierbar war. Da die entscheidende Angabe mit der Parteibezeichnung von Anfang an vorgelegen hätte, sei es auch unproblematisch, dass das berichtigte Akten-zeichen erst nach Ablauf der Einlegungsfrist bekannt geworden sei.

Bundesfinanzhof: Steuerermäßigung für Werbelebensmittel

26.5.2023

Umstritten war im vorliegenden Fall die Ermäßigung des Steuersatzes für Um-sätze aus  der Veräußerung von essbaren Waren, die als Werbemittel Verwen-dung finden. X betrieb im Jahr 2017 einen Handel für Werbeartikel. Zu den Werbelebensmitteln zählten u. a. Popcorn, Kekse, Teebeutel, Kaffee, Schoko-linsen, Traubenzuckerwürfel, die jeweils in kleinen Abpackungen offeriert wur-den. Die Kunden konnten die Waren nach ihren individuellen Wünschen be-kommen. Die Individualisierung geschah durch eine bestimmte Umverpa-packung und Aufdruck oder Ähnliches. X selbst nahm keine Individualisie-rung  der Ware vor. Er bezog die Gegenstände nach den Kundenwünschen von seinen Lieferanten oder ließ sie von Dritten veredeln. Das Finanzamt ging bei der Veräußerung der Werbelebensmittel von einer sonstigen Leistung in Form einer Werbeleistung aus, die dem Regelsteuersatz unterliege. Das sah das Fi-nanzgericht genauso und wies die Klage ab. § 12 Abs.2 Nr.1 Umsatzsteuerge-setz (UStG) sei anzunehmen, weil X keine Gegenstände i. S. der Anlage 2 zum UStG – sondern aus Sicht des Kunden – Werbeartikel geliefert habe, die aus der Verbindung von Lebensmitteln mit einer für den Kunden individualisierten Verpackung entstanden seien.

Mit Urteil vom 23.Februar 2023 – Az: V R 38/21 hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurück verwiesen. Die Vorinstanz habe nach Ansicht des BFH nicht berück-sichtigt, dass nach den von der Anlage 2 zum UStG in Bezug genommenen zollrechtlichen Regelungen grundsätzlich auf die objektiven Eigenschaften der Liefergegenstände abzustellen ist und „übliche“ Verpackungen nicht unter diese Betrachtung fallen. Nach § 1 Abs.2 Nr.1 UStG unterliegt die Lieferung der in der Anlage 2 zum UStG genannten Gegenstände dem ermäßigten Steuersatz. Unionsrechtlich Grundlage für den Bereich der Lebensmittel ist Art. 98 Abs.1 u. 2 Unterabsatz 1 i. V. mit Anhang III Nr.1 Mehrsteuersystem-Richtlinie (MwstSystRL). Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuer-satz gerade für Nahrungsmittel anwenden. Zur Bestimmung der Gegenstände, die zum ermäßigten Steuersatz geliefert werden können, enthält die Anlage 2 zum UStG in der zweiten Spalte die „Warenbezeichnung“. Sie verweist in der dritten Spalte auf Kapitel, Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs. Dabei handelt es sich um die Kombinierte Nomenklatur (KN). Unionsrechtlich be-ruht diese Bezugnahme auf Art.93 Abs.3 MwstSystRL. Danach sind die Mit-gliedstaaten befugt, zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze die beteffen-de Kategorie von Gegenständen anhand der KN exakt abzugrenzen. Für den vorliegenden Fall ist die AV 5 Buchst. b) S.1 einschlägig. Danach werden Ver-packungen – vorbehaltlich der AV 5 Buchst. a) wie darin enthaltene Waren ein-gereicht, wenn sie zur Verpackung dieser Waren üblich sind. Übliche Ver-packungen sind solche, die entweder für die Verwendung der fraglichen Ware erforderlich sind, oder Verpackungen, die normalerweise zur Vermarktung und Verwendung der darin enthaltenen Waren genutzt werden. Solche Ver-packungen dienen u. a. dem Schutz des Packguts bei Transport, Umschlag und Lagerung sowie der Aufmachung für den Einzelverkauf, wobei die letztgenann te Variante weitere Funktionen haben können (Verweis auf BFH Urteil v. 17.November 1998 – Az: VII R 50/97).  Das Finanzgericht hat nunmehr zu un-tersuchen, ob die Verpackungen wie das Packgut einzureihen sind. Dabei ent-fällt die ausschlaggebende Üblichkeit nicht zwingend durch einen Werbeauf-druck. Danach sind zur Tarifierung die Werbelebensmittel auf der Grundlage ihrer Beschaffenheit in eine lfd. Nummer der Anlage 2 zum UStG erfasst wor-den, jedoch Nahrungsmittel i. S. v. Anh. III Nr.1 MwStSystRL sein sollten, kä-men u. U. eine erweiterte richtlinienkonforme Auslegung der Anlage 2 zum UStG am Maßstab des Neutralitätsgrundsatzes infrage (Verweis auf BFH v. 21.April 2022 – Az: V R 2/22).

Quelle: Ulrich Dürr, Steuersatzermäßigung für Werbelebensmittel, www.hau-fe.de  NEWS  15.05.2023

Sozialgericht: Anspruch auf Insolvenzgeld nach zweiter Insolvenzeröffnung

25.5.2023

Erlangt der Arbeitgeber nach Eröffnung eines ersten Insolvenzverfahrens un-ter bestehender Planüberwachung seine Zahlungsfähigkeit zurück und geht kurz nach Verfahrensbeendigung wieder in die Insolvenz, besteht Anspruch auf Insolvenzgeld wegen des neuen Insolvenzereignisses – entschied das So-zialgericht Gießen durch Urteil vom 15.Mai 2023 – Az: S 14 AL 4/23.

Der Kläger, der von Mai 2010 bis März 2020 und dann ab 1.Juli 2022 als Teamleiter der Elektrowerkstatt einer bekannten Maschinenfabrik beschäftigt war, fordert die Zahlung von Insolvenzgeld. Am 27.November 2019 wurde ein Erstinsolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet und am 28.September 2020 wieder aufgehoben. Am 16.November 2022 kam es wieder zu einem Insolvenzverfahren, da die Beklagte die Vorfinanzierung von Insol-venzgeld ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch weniger als 2 Prozent des hinterlegten Betrages zur Auszahlung offen, weil noch ein Gutachten des Pensionssicherungsvereins ausstand. Alle Mitarbeiter verloren ihren Arbeits-platz. Den am 6.Dezember 2022 gestellten Antrag auf Insolvenzgeld lehnte die Beklagte ab, weil kein erneutes arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis eingetreten sei. Das Sozialgericht hat der Klage auf Zahlung des Insolvenzgel-des stattgegeben. Der Kläger habe einen Anspruch nach § 165 Abs.1 Sozialge-setzbuch (SGB) Drittes Buch (III), weil mit der Eröffnung des zweiten Insol-venzverfahrens ein tatbestandliches Insolvenzereignis eingetreten sei. Das erste Insolvenzereignis aus 2019 habe keine Sperrwirkung entfaltet. Im Fall des Aufeinanderfolgens mehrerer Insolvenzereignisse sei für den Anspruch auf Insolvenzgeld zwar vom Grundsatz her das zeitlich erste für den Insolvenzgeld-anspruch ausschlaggebend. Dies habe aber keine Geltung, wenn der Arbeitge-ber in der Zwischenzeit die Fähigkeit wiedererlangt habe, seine fälligen Geld-schulden im Allgemeinen zu erfüllen. Dafür spreche hier eine Sondertilgung i. H. v. 1,2 Millionen Euro Ende 2021 auf eine erst 2020 aufgenommenes Dar-lehen über mehr als 2 Millionen Euro. Im Übrigen sei es arbeitsförderungs-rechtlich geboten, Insolvenzgeld auch bei laufender Planüberwachung nicht von vornherein auszuschließen. Denn bei einer laufenden Sanierung bestünde sonst die Besorgnis, dass die Arbeitnehmer abwandern, da sie Gefahr laufen, bei Scheitern der Sanierung auf ihre Arbeitsentgeltansprüche ersatzlos ver-zichten zu müssen.

Bundesfinanzhof über Akteneinsichtsrecht im Steuerverfahren

26.5.2023

Ein Steuerpflichtiger hat im Finanzgerichtsverfahren das Recht, Akteneinsicht zu bekommen. Der Bundesfinanzhof hat es im Beschluss vom 21.April 2023 – Az: III B 41/22 als groben Verfahrensmangel bezeichnet, wenn das Gericht die Einholung der Information ablehnt, obwohl weder das Steuergeheimnis noch der Datenschutz entgegensteht. Die Akteneinsicht sei eine Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs, um sich sachgerecht auf einen Gerichtstermin vorbereiten zu können.

Zwei Steuerpflichtige und ihr Anwalt, ein Sozietätspartner des betroffenen Steuerberaters, bekamen rd. drei Wochen vor dem Gerichtstermin die Ladung. Der Prozessbevollmächtigte beantragte die Terminsverlegung, weil seine Man-danten dann im Urlaub seien und seine Kanzlei Mandantentermine im Aus-land wahrnehmen müsse. Dies sei seit Längerem geplant und wegen der Co-rona-Pandemie schon mehrfach verschoben worden. Das Gericht lehnte die Aufhebung des Termins ab. Daraufhin legte der Anwalt einen Tag vor dem Termin das Mandat nieder. Ein anderer Rechtsanwalt legitimierte sich und beantragte Akteneinsicht und (ohne Erfolg) auch die Verlegung des Termins. Obwohl dem Vorsitzenden bekannt war, dass der Anwalt den Fall nicht kannte, verhandelte das Gericht am nächsten Tag ohne die Kläger und deren Vertreter. Er ließ protokollieren, dass trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschie-nen sei. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beantragten die Kläger die Zulas-sung der Revision (erfolgreich) beim Bundesfinanzhof (BFH). Der BFH stellte heraus, dass das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs.1 Grundge-setz (GG) dem Kläger auch den Zugang zu der Verfahrensmaterie gewährt. Die Gelegenheit einer Akteneinsicht sei die Voraussetzung dafür, ihr Verhalten im Prozess selbstbestimmt und situationsbezogen gestalten zu können. Dieses Informationsrecht nach § 78 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann dem BFH nach nur nach § 78 Abs.4 FGO, also zur Wahrung des Steuergeheimnisses oder des Datenschutzes eingeschränkt werden. Der neumandatierte Anwalt hätte deshalb unbedingt Akteneinsicht haben müssen, damit er sich genau auf den Termin vor Gericht hätte vorbereiten können. Das Urteil beruhe nach § 119 Nr.3 FGO auf diesem Verfahrensmangel. Deshalb hob der BFH das Urteil auf und verwies sie die Sache an das Finanzgericht zurück. Entgegen der Meinung des Sächsischen Finanzgerichts haben den Anträgen der Anwälte das legitime Interesse nach Information zugrunde gelegen. Es sei der erste Verlegungsan-trag der Kläger gewesen, daher habe keinerlei Anlass bestanden, eine Prozess-verschleppungsabsicht anzunehmen. Außerdem seien mehrere Ausweichter-mine vorgeschlagen worden. Weder die Kläger noch deren Prozessbevollmäch-tigte hätten damit rechnen müssen, dass das Verfahren auch in Abwesenheit der Prozessbeteiligten durchgeführt werde – betonte der BFH.

Dr. Grohmann & Co.

Bahnhofstraße 12
32545 Bad Oeynhausen
Telefon: 0 57 31/15 03-0
Telefax: 0 57 31/15 03-30

Kontakt/Anfahrt
Bürozeiten

Montag bis Donnerstag: 8:00 – 18:00 Uhr
Freitag: 8:00 – 17:00 Uhr

Außerhalb der Öffnungszeiten:
Termine nach Vereinbarung

Rückruf/Nachricht
advocat24

© 2023 Dr. Grohmann & Co.
Impressum/Datenschutz